Cavanis Friseur
·28. Oktober 2020
Cavanis Friseur
·28. Oktober 2020
So gut wie jeder Fußballfan weiß, dass Ahtletic Club Bilbao nur baskische Spieler in seinen Kader aufnimmt.
Aber wie macht das der Verein eigentlich und wie gelingt es ihm, trotz der geringen Einwohnerzahl, mit den spanischen Top-Teams mitzuhalten und Jahr für Jahr großartige Talente hervorzubringen?
Dies ist ein Gastbeitrag von Steffen Rank, Betreiber von hellasblog.de
Das wunderschöne Baskenland. Gelegen im Norden Spaniens, von den Einheimischen ehrfürchtig Euskadi genannt, hat die heutige Autonome Gemeinschaft eine lange und ereignisreiche Geschichte.
Der Atlantik, genauer gesagt der Golf von Biskaya, ist genauso ein Wahrzeichen Euskadis wie die Pyrenäen, deren Ausläufer die kleinen Dörfer und die großen Städte bis hin zu jenem Atlantik einbetten.
Das Baskenland ist ein Gebiet, das für Außenstehende nur sehr schwer greifbar ist. Unaussprechliche Namen, eine einzigartige Sprache, der Volkssport Pelota sowie die ETA sind die wohl häufigsten Assoziationen im deutschsprachigen Raum, gefolgt von der legendären früheren Radsport-Equipe Euskaltel-Euskadi in ihren orangenen Trikots und natürlich vom ruhmreichen Athletic Club aus Bilbao.
Stellvertretend für diese Charakteristika steht der Gernikako Arbola, ein Baum im baskischen Dorf Gernika.
Die Eiche stellt das baskische Freiheitssymbol dar, hat jedoch eine mehr als nur symbolische Bedeutung, so leistet hier beispielsweise noch immer der baskische Ministerpräsident, der sogenannte Lehendakari, seine Amtseide ab.
Die Eiche als baskisches Freiheitssymbol ist daher folgerichtig auch im Logo des wichtigsten Vereins der Region zu finden.
Der Athletic Club aus der größten Stadt des Baskenlands (nicht der Hauptstadt – diese liegt aus rein politischen Gründen in Vitoria-Gasteiz) steht wie kein anderer Fußballverein auf der Welt für ein Verhalten und Handeln im – ihrer Ansicht nach – vereinsphilosophisch-konformen Rahmen, der zugleich zusätzlich identitätsstiftend für den Großteil der Bevölkerung des Baskenlands sein soll und auch tatsächlich ist.
Athletics Vereinsphilosophie, der sogenannte baskische Weg, ist jedenfalls einzigartig in Europa, weltweit verfolgt auf Profiebene lediglich noch der Club Deportivo aus Guadalajara in Mexiko eine ähnliche Philosophie mit ausschließlich mexikanischen Spielern.
Aufgrund der eigens auferlegten „Restriktionen“ hat der Athletic Club aus Bilbao so natürlich nicht nur gegenüber den Lokalrivalen Alaves aus Vitoria-Gasteiz, Osasuna aus Pamplona und insbesondere gegenüber Real Sociedad aus der baskischen Küstenstadt San Sebastian erhebliche Nachteile, sondern demzufolge auch gegenüber der spanischen und europäischen Konkurrenz.
Dass Athletic noch nie aus der ersten spanischen Liga abgestiegen ist, im rein baskischen Cupfinale 2020 steht und Talente am laufenden Band produziert, ist dennoch alles andere als reiner Zufall.
Doch wie schafft es ein Klub, mit solch gravierenden vereinsphilosophischen Einschränkungen, in einem „Land“ mit gerade einmal wenig mehr Einwohnern als Hamburg (2,2 Millionen) konstant so erfolgreich zu sein und auf diesem hohen Level zu überleben?
Lezama – was klingt wie ein Zauberspruch aus einem Science-Fiction-Roman, ist in Wirklichkeit der Schlüssel zum Erfolg des Athletic Club.
Lezama, ein kleines Dorf nur wenige Kilometer entfernt von Bilbao.
Neben dem sogenannten Torre de Lezama, einem unauffälligen Turm, gibt es hier allen voran eines: Den zentralen Trainingskomplex des ruhmreichen Athletic Clubs.
Mit vier Rasen-Großspielfeldern, zwei Kunstrasen-Großspielfeldern sowie einem Kunstrasen-Kleinspielfeld, einem modernen Medizinzentrum, Räumen für Pressekonferenzen und weiteren relevanten Einrichtungen gilt Lezama als einer der weltweit modernsten Trainingskomplexe.
Sämtliche Jugendvereine der Leones trainieren, spielen und wohnen hier, von hunderten kleinen Knirpsen bis hin zur zweiten Mannschaft Bilbao Athletic. Auch Athletics erfolgreiche Frauenteams finden hier die perfekten Konditionen für ihre weitere Entwicklung vor.
Doch bevor die Spieler in Lezama überhaupt einen Fuß auf den Platz setzen, leistet ein ausgeklügeltes, einzigartiges und vor allem engmaschiges Scouting-System ganze Arbeit.
„Wir haben 20 Scouts allein in der Provinz Bizkaia sowie 150 „Bruderklubs“ in der Region, die den Fortschritt möglicher Nachwuchsspieler beobachten,“ gab der damalige Sportdirektor Jose Amorrortu in einem Interview zu Protokoll.
Und insbesondere diese „Bruderklubs“ sind der Schlüssel zum Erfolg des Scoutings der Basken.
Zwischen Athletic und den Bruderklubs, die so klangvolle Namen tragen wie die etwas bekannteren FC Barakaldo oder CD Basconia sowie beispielsweise die unbekannteren Sestao River Club und CD Otxarkoaga, um einen kleinen Ausschnitt zu geben, besteht eine enge Bindung.
Athletic lebt durch diese Verbindungen, durch das über Jahre gewachsene Vertrauen in die Fähigkeiten, die Kenntnisse und die geschulten Augen bei jenen Klubs vor Ort.
Hat ein Spieler in den Augen der lokalen Verantwortlichen von einem der Bruderklubs das Potenzial für die Lezama, dann wird Meldung erstattet.
Vielleicht wird im folgenden Schritt der Spieler direkt zu einem Probetraining nach Lezama eingeladen, vielleicht vorerst auch generell nicht, vielleicht wird er auch nach absolviertem Probetraining abgelehnt. Ganz gleich welcher Fall eintreten sollte – Athletic hat den Spieler von nun an auf dem Schirm.
Schafft es ein Talent so zum Beispiel nicht direkt in eines der Nachwuchsteams, wird es weiterhin bei einem Bruderklub omnipräsent sein und so unter regelmäßiger Beobachtung stehen.
Die Durchlässigkeit in Form der Gefahr eines Nicht-Entdeckens eines großen Talents tendiert dementsprechend zumindest in der baskischen Provinz Bizkaia tatsächlich gen Null für die Rot-Weißen.
In den anderen baskischen Provinzen hingegen liefert sich Athletic insbesondere mit dem Lokalrivalen Real Sociedad einen regional vielbeachteten Kampf. Der manchmal auch verloren geht, wie das prominente und aktuelle Beispiel Mikel Oyarzabal zeigt – diesem wurde die Tauglichkeit für Lezama abgesprochen, sehr zur heutigen Freude des Lokalrivalen …
San Sebastian, baskische Bezeichnung Donostia, liegt in der Provinz Gipuzkoa. Trotz der Tatsache, dass Real Sociedad auch nicht-baskische Spieler verpflichten „darf“, legt La Real ebenfalls ein Hauptaugenmerk auf eine starke Jugendarbeit.
Dies gelingt bekanntlich auch sehr gut, was in der jüngeren Zeit beispielsweise anhand Xabi Alonso, Mikel Arteta und Yuri Berchiche zu sehen war.
Drei Spieler, die eine Gemeinsamkeit haben: Sie stammen vom damaligen Partnerklub La Reals aus der Stadt Antiguoko.
Dieses Antiguoko war nun vor wenigen Wochen in aller (baskischen und spanischen) Munde. Der ortsansässige Fußballklub Antiguoko KE, aus dessen „Feder“ die genannten Spieler allesamt stammen, entschied sich zu einem gravierenden Schritt: Ab sofort würde man „Bruderklub“ vom Athletic Club zu „Bilbo“ (bask. für Bilbao) sein.
Ein Aufschrei, denn Athletic hatte einen strategisch enorm wichtigen Schritt geschafft: Sie konnten ihr funktionierendes „Weiterempfehlungs“-Scouting-Netzwerk nicht nur etwas ausbauen, nein, viel mehr konnten sie einen der renommiertesten „feeder clubs“ des Baskenlands mit hervorragenden bestehenden Strukturen an sich binden.
Ein Erfolg, der in Bizkaia wie ein Titel gefeiert wurde (Naja fast, schaut man sich diese Bilder nach dem Gewinn der eigentlich unbedeutenden Supercopa 2015 an).
Natürlich ist Athletic aufgrund der Vereinsphilosophie wie kein anderer Verein der Welt abhängig vom Entdecken von Talenten jeglicher Altersklassen, schließlich kann man nicht einfach „shoppen“ gehen (beziehungsweise in nur stark limitierter Art und Weise).
Die weitere Entwicklung der baskischen Talente wird dann nach einem strikten Plan vorangetrieben, wobei ein Alleinverantwortlicher tatsächlich den Werdegang jedes einzelnen Talents – soweit eben möglich – „plant“, angefangen bei den Knirpsen, unter Berücksichtigung der einzelnen Entwicklungsschritte samt Hindernissen.
Diese Position übt derzeit Andoni Ayarza aus, der selber aus Athletics Jugend stammt und einige Spiele für die erste Mannschaft der Löwen absolvierte.
Die Besetzung dieser Position mit einem Ex-Athletic-Spieler ist übrigens kein Zufall, viel mehr ist sie ein Grundprinzip in Bilbao und in Lezama:
Nahezu alle Personen auf verantwortlichen Positionen haben eine Vergangenheit als Athletic-Spieler, was von Sportdirektor Rafael Alkorta bis hin zu Jugendtrainern wie Ander Alana oder Luis Prieto reicht.
Ein wichtiger Punkt in Athletics Sichtweise, will man so doch früh die Identifikation mit dem Verein stärken und dem Nachwuchs tiefergehende Einblicke in das Leben der Athletic-Profis ermöglichen, die aus diesem Grund auch vor Auswärtsspielen oder zu anderen Gelegenheiten geschlossen in Lezama übernachten.
So wird der Traum des Profifußballers für die Nachwuchsspieler noch greifbarer gemacht, insbesondere da in Spitzenzeiten 90% der ersten Mannschaft den klassischen Weg durch Lezama über Bilbao Athletic hin zur ersten Mannschaft beschritten haben.
Betrachten wir doch mal den Weg von Eigengewächs Inigo Córdoba, um den klassischen Weg eines Athletic-Spielers anhand eines Beispiels konkret darstellen zu können. Córdoba ist inzwischen fester Bestandteil der ersten Mannschaft der Leones, absolvierte in der letzten Saison 24 Einsätze in La Liga.
Der junge Flügelstürmer wurde in Bilbao geboren, trat in jungen Jahren der Mannschaft einer religiösen Schule namens Askartza Claret nahe der Stadt Getxo bei – und wechselte mit gerade einmal 12 Jahren in die Jugendabteilung Athletics.
Nun ist Getxo eine Vorstadt der Baskenmetropole Bilbao, doch selbst in der katholischen Schulmannschaft griffen die Mechanismen von Athletics System.
Córdoba sollte anschließend sämtliche Jugendmannschaften Athletics durchlaufen, nach der U19 wurde er dann an das Farmteam CD Basconia verliehen, damals in der vierten spanischen Liga – ein sinnvoller Zwischenschritt auf dem Wege zur zweiten Mannschaft, die damals in der Segunda Division antrat und in welcher der Baske anschließend ebenfalls überzeugen konnte.
Ein Zwischenschritt, den Athletic ungemein gerne anwendet. Die Spieler können sich an den Herrenfußball auf niedrigerem Niveau gewöhnen, sind in der nahen Region und bekommen sehr viel Spielzeit auf dem Weg zur zweiten oder ersten Mannschaft.
Konsequent wendet Athletic diesen Schritt an, viele Spieler haben so im europäischen Vergleich relativ spät ihre Erstligadebüts gegeben, was weniger mit deren Leistungspotenzial als mit Athletics strategischem Handeln zu tun hat.
Ausnahmen bestätigen hierbei die Regel, Iker Muniain kann hier als Beispiel für eine solche dienen, er feierte bereits im zarten Alter von 16 Jahren sein Erstligadebüt.
Das ganze System mag dann anhand dieses einen Beispiels nicht allzu spektakulär klingen; der Leser mag dazu neigen, Sachen zu denken wie „das ist doch hier genauso“. Der Unterschied ist allerdings gravierend.
Es geht darum, dass es Athletic so kontinuierlich schafft, Rohdiamanten entdecken und diese Rohdiamanten dann tatsächlich auf professionelles Niveau entwickeln zu können.
Deutsche Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg sind um ein Vielfaches größer und einwohnerstärker, haben dennoch in Relation nicht annähernd so viele professionelle Fußballer hervorgebracht wie die Lezama allein.
Als Erklärungsgrundsatz kann hierfür sicherlich die Identifikation mit dem Klub in Euskadi, besonders in Bizkaia, dienen. Der Traum der Kinder ist es, einmal im Trikot der Leones auflaufen zu dürfen.
Der Stellenwert ist unbeschreiblich hoch, wie auch der oft von anderen Teams umworbene Inaki Williams in einem Interview bestätigte: „Ich lebe den Traum vieler Jungs in Bizkaia. Es ist ein Stolz und eine Verantwortung, dieses Trikot tragen zu dürfen.“
Nicht nur leere Phrasen, wie man sie so oft in der schillernden Fußballwelt zu hören bekommt. Durch die hohe Identifikation mit Athletic ist es für den Klub leichter, umworbene Spieler zu halten, wie unzählige Beispiele zeigen – Inaki ist nur eines davon, Joseba Etxeberria oder Fran Yeste weitere. Die Liste ließe sich sehr lange fortführen.
Natürlich bezahlt auch Athletic seine Spieler nicht mit Wasser und Brot, sondern mit durchaus hohen Gehältern. Letztendlich bleiben ihnen aber auch keine Alternativen, um wettbewerbsfähig zu sein und vor allem langfristig zu bleiben.
Das Scouting läuft nichtsdestotrotz ohne umständliche Hürden oder Prozesse. Selbst Spieler aus dem hintersten Bergdorf der Pyrenäen können und werden so direkt an Athletic weiterempfohlen, um dann schon in ganz jungen Jahren im Blickfeld der Lezama zu stehen.
Ab und zu werden dennoch immer mal wieder Stimmen laut, die Lockerungen der Vereinsphilosophie fordern. Diese werden jedoch immer mit größtmöglicher Mehrheit abgeschmettert – selbst wenn die Spieler einen qualitativen Mehrwert schaffen könnten.
Ein prominentes Beispiel in der jüngeren Vergangenheit ist hierbei der Madrider Marco Asensio, dessen Vater aus dem Baskenland stammt und glühender Athletic-Anhänger ist.
Asensio ist allerdings in Palma geboren und hat nicht einen Tag seines Lebens in irgendeinem baskischen Verein verbracht – der Gedanke wurde dementsprechend schnell verworfen.
Zumindest die wirtschaftliche Lage gibt Athletic in seinem Handeln Recht. Auch im durch die Folgen der derzeitigen Corona-Pandemie stark gebeutelten spanischen Fußball steht Athletic als einziger Klub schuldenfrei da.
Ein Erfolg, der die Fans noch mehr an ihr Vorgehen glauben lässt.
Die Einzigartigkeit steht also außer Frage. So wie auch das Festhalten an jener Vereinsphilosophie. In den nächsten Jahrzehnten wird sich daran nichts ändern, stattdessen werden diese Prinzipien gelebt und weitergegeben werden – das ist so sicher wie das Wachsen und Gedeihen der nächsten Generationen der Gernikako Arbola…
Dies war ein Gastbeitrag von Steffen Rank, Betreiber von hellasblog.de
(Titelbild: @Getty Images)