Cavanis Friseur
·29. Dezember 2021
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·29. Dezember 2021
Während im Wüstenemirat Katar die Karriere von James Rodríguez buchstäblich versandet, geht Radamel Falcao in La Liga zwar noch munter auf Torejagd (beide übrigens mit Porto-Vergangenheit), mit 35 Jahren dürften die besten Tage von El Tigre als Athlet allerdings wohl gezählt sein. Der kolumbianische Fußball dürstet folglich nach einem neuen Aushängeschild für die Abteilung Attacke. Vorhang auf für Luis Díaz!
Der 24-Jährige wurde unter anderem schon mit dem FC Bayern München, Liverpool oder Newcastle United in Verbindung gebracht, deren neue Eigentümer aus Saudi-Arabien angeblich bereit sind, stolze 80 Millionen € Ablöse auf den Tisch zu legen. Höchste Zeit also, den heißbegehrten Shooting-Star näher vorzustellen!
Luis Fernando Díaz Marulanda stammt aus Barrancas im La Guajira-Departament, direkt an der Grenze zu Venezuela gelegen. Das trockene Gebiet an der Karibikküste gehört zu den meistvernachlässigten Regionen Kolumbiens.
Zwischen 2008 und 2016 starben fast 5.000 Kinder des indigenen Wayúu-Volkes, dem auch Díaz angehört, an Unterernährung. Die anhaltende humanitäre Notlage hat gar schon die Vereinten Nationen und Human Rights Watch auf den Plan gerufen.
Auch Luchito wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf: Mit seiner Familie lebte er in einer Ranchería (eine kleine informale und ländliche Hütten-Siedlung) in unmittelbarer Nähe zum gigantischen El Cerrejón, dem größten Steinkohletagebau Lateinamerikas.
Das gigantische Steinkohlebergwerk El Cerrejón. © Wikimedia Commons
Drei Mal täglich passierten ellenlange und mit Kohle vollbeladene Züge das Dörfchen auf ihrem Weg zur Küste, wo die Kohle auf Schiffe mit dem Ziel Europa verladen wird. Finanziell konnte Díaz‘ Familie jedoch nicht von der Nachbarschaft zur monströsen Grube profitieren.
Das Geld war knapp und dem alltäglichen Ziegenfleisch zum Trotz war unser Protagonist während seiner gesamten Kindheit untergewichtig. Da es im Dorf keinen Fernseher gab, lauschte er abends oft den Geschichten seiner Großmutter.
Im Dorfverein, dessen Trainer Díaz‘ Vater war, wurde Luchito von Anfang an Bescheidenheit gelehrt. Sein Erzeuger und Übungsleiter in Personalunion setzte Luchito sogar immer wieder auf die Bank, um so den Ehrgeiz seines Sprösslings zu fördern. Der beste Spieler des Dorfes war er da ohnehin schon.
Díaz war bereits 17 als sein Aufstieg in Richtung Profifußball begann. Damals wurden er und einige Teamkameraden in die Hauptstadt Bogotá eingeladen, um sich in einem Trainingslager für die nationale Auswahl bei der Copa Americana de Pueblos Indígenas (Südamerika-Meisterschaft für die indigenen Völker) zu empfehlen.
Die Auswahl wurde von den Ex-Nationalspielern Carlos Valderrama und John Jairo Pocillo Díaz betreut. Letzterer war dem Teenager gegenüber anfangs noch skeptisch eingestellt.
„Für einen Moment dachten wir, dass es schwierig für ihn würde abzuliefern, da er unterernährt war. Er war sehr dünn und verlor seine Zweikämpfe“, erinnerte sich Pocillo Díaz gegenüber der BBC.
Doch dank seiner Schnelligkeit und überragenden Technik schaffte es Luchito aus dem Pool an 400 Spielern herauszustechen und sich einen Platz im 26-Mann-Kader zu sichern.
Angeführt vom spindeldürren Rohdiamanten – der sich zwei Mal in die Torschützenliste eintragen konnte – erreichte Kolumbien das Finale des Turniers. Von Coach Valderrama wurde er anschließend dem Zweitligisten Barranquilla FC, Farmteam des Erstligisten Atlético Junior, empfohlen.
In der viertgrößten Stadt des Landes wurde dem Youngster jedoch erst einmal aufgetragen, sein Gewicht deutlich zu erhöhen. Dabei helfen sollte unter anderem ein Ernährungsplan, der Fleisch und Pasta zum Frühstück vorsah. Mehr als 10 Kilogramm legte Díaz auf diese Weise zu, ehe er sich für La Academia beweisen durfte.
2017 wurde er dann in die erste Liga zu Atlético Junior befördert, wo er sich rasch als Stammspieler etablierte und neben dem ehemaligen Nationalspieler Teófilo Teogol Gutiérrez ein formidables Angriffsduo bildete.
In Díaz‘ Zeit in Barranquilla konnten Los Tiburones den Meistertitel, Pokal sowie Supercup gewinnen und ins Finale der Copa Sudamericana (Pendant zur Europa League) einziehen.
Unter der Ägide von Interims-Nationaltrainer Arturo Reyes – den Díaz schon aus der gemeinsamen Zeit beim Junior FC kannte – gab Díaz 2018 sein Debüt für Los Cafeteros, für die er auch bei der Copa América 2019 als Rotationsspieler zum Einsatz kommen sollte.
Im gleichen Sommer folgte der Sprung nach Europa. Der FC Porto (seit jeher exzellent in Kolumbien vernetzt) überwies 7,22 Millionen € für 80% der Transferrechte nach Barranquilla. Unter Trainer Sérgio Conceição – der gerade neue Angreifer nach Ankunft gerne mal für längere Zeiträume auf der Bank schmoren lässt – etablierte sich Díaz direkt als Stammkraft.
Starke Leistungen beim Auswärtssieg gegen Benfica oder im Heimspiel gegen die Rangers aus Glasgow ließen die Erwartungen an den Neuzugang schnell nach oben schießen. Doch es sollte anders kommen.
Zwar kam Díaz in der Meistersaison 2019/20 in wettbewerbsübergreifend 50 Spielen auf ordentliche 14 Tore und acht Vorlagen, doch ließ er Konstanz genauso vermissen wie Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, weswegen er hinter Otávio und dem seinerzeit überragenden Jesús Corona auch immer wieder auf der Bank Platz nehmen musste. Im Sommer 2020 stand daher sogar eine Leihe zur AS Saint-Étienne im Raum.
Die von den Maßnahmen gegen das neuartige Coronavirus dominierte Spielzeit 2020/21 zeitigte ähnliche Resultate (47 Spiele, elf Tore, sechs Assists). Obwohl Díaz als dritter offensiver Flügelspieler ein wichtiger Teil der Rotation war, schaffte er es nie nachhaltig in die Startformation der Dragões.
Seit der aktuellen Saison hat sich dies geändert. Bereits bei der Copa América 2021 im Sommer ließ Díaz mit teils spektakulären vier Toren in fünf Spielen aufhorchen. Neben Lionel Messi und Neymar wurde er ins Team des Turniers gewählt.
Aber diesmal konnte Díaz seine bestechende Form beibehalten und ist in Portugal neben Benficas Rafa Silva derzeit der beste Spieler der Liga. Die Ausbootung Jesús Coronas aufgrund von Vertragsquerelen und die zu erwartende langsame Integration von Neuzugang Pepê wirkten als Katalysatoren und machen Díaz momentan unverzichtbar.
In allen Wettbewerben kommt Díaz nach 24 Spielen bereits auf 14 Treffer und fünf Torvorbereitungen. Darunter viele äußerst wichtige Scorerpunkte wie der Siegtreffer gegen Milan in der Champions League oder Traumtore wie in der Liga gegen Guimarães.
Nach dem Gastspiel des 29-maligen portugiesischen Meisters an der Anfield Road soll gar Jürgen Klopp grünes Licht gegeben haben, einen Transfer von Díaz nach Liverpool einzufädeln.
Doch was genau macht den 24-Jährigen so begehrt? In Sérgio Conceiçãos klassischem 4-4-2 agiert der Kolumbianer als linker Mittelfeldspieler, der als Rechtsfüßer eher in den Strafraum schneidet, anstatt von der Seitenlinie zu flanken.
Obwohl er ein sogenannter invertierender Flügelspieler ist, lässt sich sein Aktionsradius hauptsächlich nahe der Seitenlinie verorten. Dadurch kann Portos Nummer 7 gegnerische Verteidigungsreihen auseinanderziehen und somit Raum für Tiefenläufe von Mitspielern oder Soloaktionen schaffen.
Dabei kommen Díaz seine phänomenalen Fähigkeiten im Dribbling zugute. Obwohl er das Spielgerät nicht einmal besonders eng am Fuß führt, gelingt es ihm durch Agilität, große Schritte und ein reichhaltiges Repertoire an Bewegungen, starke 2.91 Dribblings pro 90 Minuten abzuschließen (93. Perzentil unter off. Außenspielern in Europas Top-5-Ligen und dem europäischen Wettbewerb).
Unser Protagonist agiert hierbei in der Regel äußerst zweckdienlich und schafft es auch auf engem Raum, blitzartig zu beschleunigen und in kaum ausrechenbare Bewegungen überzugehen, die Gegenspieler binden und dadurch Räume kreieren.
Auch in Kontersituationen profitiert Díaz von seiner enormen Schnelligkeit. Nicht selten trägt er den Ball dann aus der eigenen Hälfte ins letzte Drittel (kein Spieler legt in Portugal mehr vertikale Strecke mit dem Ball am Fuß zurück), wo er nach Abschlussmöglichkeiten (nur zwei Spieler geben in Portugal mehr Schüsse pro Partie ab) oder den Mitspielern Ausschau hält.
© @DatoBHJ (Twitter)
“El Cristiano Ronaldo colombiano” schafft es dabei oft, den Ball auch aus bedrängten Situationen heraus gewinnbringend an seine Kollegen weiterzugeben oder mit präzisen Steckpässen Abschlusssituationen einzuleiten (Expected Assists im 68. Perzentil). Und selbst wenn sich Abspieloptionen verunmöglichen, bleibt er ruhig und gibt das Leder mit überlegten Pässen ab.
Seit der Copa América 2021 tritt Díaz nun endlich auch als eiskalter Finisher auf, der nicht mehr nur brandgefährliche Distanzschüsse abgibt, sondern auch in vermeintlich leichteren Eins-gegen-Eins Situationen vor dem gegnerischen Torhüter cool bleibt. Diese Fähigkeit war ihm in seinen ersten beiden Spielzeiten in Europa noch ebenso abgegangen wie die Konstanz, die er inzwischen an den Tag legt.
Zwar ist Díaz ein starker Kopfballspieler, aber seiner natürlichen Athletik zum Trotz kein allzu bemühter Pressingspieler (Anzahl von Pressures nur im 15. Perzentil), der sich in der Defensive oft für seine explosiven Offensivaktionen schont.
Es dürfte interessant zu beobachten sein, ob der bald 25-Jährige, sein nun immerhin schon seit Sommer währendes Formhoch auch 2022 beibehalten oder seine Entwicklungskurve gar noch steigern kann.
Trotz der finanziellen Nöte seines aktuellen Arbeitgebers – die durch das CL-Gruppenaus nicht gerade entschärft wurden – dürfte ein Abgang bereits im Winter jedoch unwahrscheinlich sein. Keiner der zahlreichen spektakulären Porto-Abgänge der Vergangenheit wurde im Winter abgewickelt.
Planungssicherheit ist für den abgebenden Verein sowie potenzielle Käufer im Sommer seit jeher größer, insbesondere in unsicheren Pandemie-Zeiten. Zudem hat Porto als Tabellenführer gute Aussichten auf den Gewinn der Meisterschaft.
Nichtsdestotrotz dürfte ein finanziell ertragreicher Verkauf des Shooting-Stars (Ausstiegsklausel 80 Millionen €) nur eine Frage der Zeit sein. Höchste Zeit also, sich den Namen Luis Díaz zu merken…
Titelbild: © Getty Images & Amadeus Marzai
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