Borussia Dortmund
·27. Februar 2025
Borussia Dortmund
·27. Februar 2025
Yongyin Li kommt mit einem ganzen Rollkoffer zum Training. Mit dem ersten Bodenkontakt in der Halle ist er im Tunnel. Konzentriert, fokussiert. Es ist der Vorabend vor dem inzwischen 13. Bundesligaspiel des BVB – und kurz nach der dann doch schon achten Saisonniederlage im zwölften Spiel gegen Mitaufsteiger TTC OE Bad Homburg. Abteilungsleiterin Ulla Reitemeyer hadert noch immer: „Dieses Spiel hätten wir gewinnen sollen, dann wären wir vieler Sorgen ledig und hätten den Rest der Saison befreit aufspielen können. So aber gehen wir wieder – BVB-like – den schwierigeren Weg.“ Bei genauer Betrachtung ist der schmal und rutschig. Die zwei Absteiger aus der TTBL werden ziemlich sicher aus nur noch vier Vereinen ermittelt: TTC Zugbrücke Grenzau, Post SV Mühlhausen, TTC OE Bad Homburg – und eben Borussia Dortmund.
„Lieber wäre mir gewesen, wenn ich die Spiele in der zweiten Saisonhälfte auch mal hätte genießen können. Aber nun ist es so. Ich habe großes Vertrauen in die Mannschaft. Sie hat einen guten Spirit“, sagt Reitemeyer weiter. Wencheng Qi fügt hinzu: „Das erste Jahr ist immer schwer. Am Ende aber werden wir es schaffen. Dann können wir im zweiten Jahr auf diesem Fundament aufbauen und den nächsten Schritt machen.“ Der Trainer setzt bei diesem Vorhaben auch und vor allem auf seinen bis dahin zuverlässigsten Punktelieferanten: Yongyin Li. Der Chinese ist im vergangenen Sommer zu Borussia Dortmund gekommen.
„Er hat die für China typische, vollumfängliche und ganzheitliche Tischtennis-Ausbildung genossen“, sagt Ulla Reitemeyer – und erklärt „Tischtennis ist da nicht nur Sport. Es ist auch Wissenschaft. Du kannst es als explizites Fach studieren. Es gibt Tischtennis-Professoren. Und so ist auch Li ziemlich früh professionell an Tischtennis herangeführt worden. Zur allgemeinen Grundausbildung gehört zum Beispiel, keinen Schritt zu machen, ohne auf den Weg zu achten. Chinesen leben, gehen und arbeiten sehr bewusst. Man könnte es auch eine Schule der Achtsamkeit nennen, die sie dort durchlaufen. Daran kann man erkennen, wie breit das Thema Tischtennis in China aufgestellt ist. Jedenfalls ist es sehr viel mehr, als an einen Tisch zu treten und ein paar Bälle zu schlagen. Das ist bemerkenswert.“
Hier spricht Yongyin Li über Arbeit und Antrieb, Fokus und Freiheit, verschiedene Sphären und mentale Stärke, Potenziale und Proben, Körper und Kopf und Kunst; die hohe Kunst des Tischtennis-Sports – und die der Kalligrafie.
Li, Deine persönliche Bilanz ist ausgeglichen, als Mannschaft aber steckt ihr unten drin – wie zufrieden bist Du mit dem ersten Halbjahr beim BVB?
„Ich denke, unsere Einzelbilanz ist absolut in Ordnung. Einige von uns haben eine positive Bilanz, andere eine negative, unterm Strich hält sich das die Waage. Allerdings verlieren wir die meisten Spiele 2:3 – also haben wir ein Problem im Doppel. Darin sind wir aktuell nicht so gut.“
Also ist genau das die Herausforderung für das Saisonfinale, damit das Pendel in den vielen engen Spielen häufiger zu Euren Gunsten ausschlägt.
„Ja, das müssen wir besser hinkriegen. Wir investieren sehr viel, damit es nach den Einzeln 2:2 steht und verlieren die Spiele dann im Doppel; egal, ob ich spiele oder Anders Lind oder Cedric Nuytinck oder wer auch immer. Und das macht sich eben in der Tabelle bemerkbar: Hätten wir nur die Hälfte unserer Doppel gewonnen, würden wir irgendwo im gesicherten Mittelfeld zwischen Platz fünf und sieben stehen – so aber stecken wir unten drin.“
Ist die Doppelschwäche eine Frage der generellen Qualität oder eine des Kopfes oder eine des Glücks?
„Mal so, mal so. In manchen Doppeln hat uns einfach das nötige Spielglück gefehlt – da machst du nichts. Grundsätzlich aber ist es so, dass die drei Topspieler in unserer Mannschaft – Anders, Cedric und ich – sowie Simon Berglund alle Linkshänder sind. Wenn dann Dennis Klein, unser erster Rechtshänder, auch noch verletzungsbedingt ausfällt, dann wird es schwer. Und zwei Linkshänder im Doppel bilden auch keine optimale Kombination. Für die Gesamtbewertung ist dieser Umstand wichtig.“
Li, mal grundsätzlich: Was fasziniert Dich am Tischtennis?
„Das Ganzheitliche, die Symbiose aus Körper und Kopf, die dafür notwendig ist. Als ich vor bald 20 Jahren damit angefangen habe, ich war gerade sechs, hat mich zunächst mein Vater trainiert. Ich war jeden Tag in der Trainingshalle und habe dabei viele, viele Spieler gesehen. Mein Antrieb war es, irgendwann besser zu sein als alle anderen. Auf dem Weg dorthin habe ich mir Zwischenziele gesetzt; irgendwann habe ich Ballwechsel mit zehn Schlägen geschafft, dann welche mit 20. Es war harte und akribische Arbeit. Nach ein, zwei Jahren habe ich angefangen, etwas für meine Stadt zu gewinnen. So wuchsen der Ehrgeiz und die Liebe zum Tischtennis.“
Wie oft trainierst Du heutzutage in der Regel?
„Normalerweise trainiere ich jeden Tag, manchmal einmal, manchmal aber auch zweimal am Tag. Das hängt davon ab, wie ich mich in dem Moment fühle. Aber unterm Strich kommen immer drei Stunden am Tag zusammen.“
Woher bist Du vor dem Spieltag in der TTBL gekommen – und wohin wirst Du danach gehen?
„Ich kam aus Düsseldorf, wo ich während meiner Zeit in Deutschland lebe und vorwiegend im nationalen Trainingszentrum trainiere. Während der Saison in der Bundesliga liegt der Fokus schon auf Deutschland, grundsätzlich bin ich aber natürlich international unterwegs.“
Wie oft reist Du im Jahr mit, durch und für Tischtennis um die Welt?
„Puh, keine Ahnung. Das zähle ich nicht, aber es dürfte eine Menge sein. Meistens bin ich in Deutschland oder in China, wo ich an Turnieren wie den nationalen Meisterschaften teilnehme. Der wichtigste Wettbewerb ist für mich aber die TTBL. Sie ist die stärkste Liga in Europa.“
In gewisser Weise bist Du also ein Weltreisender. Wo ist Dein Zuhause?
„Meine Heimat ist Xiamen, eine Stadt im Südosten von China, auf einer vorgelagerten Insel gelegen. Dort haben wir immer gutes Wetter. Leider kann ich nur nach der Saison im Juni und Juli für einige Wochen dort sein, das restliche Jahr über bin ich wie gesagt unterwegs. Trotzdem würde ich Xiamen noch immer mein Zuhause nennen.“
Was bedeutet Dortmund für Dich? Und was der BVB?
„Ich bin sehr glücklich, hier zu sein. Nach der Hinrunde der vergangenen Saison habe ich mich nach einem neuen Klub umgeschaut und zugleich Anfragen mehrerer Vereine erhalten. Ich habe länger drüber nachgedacht, mich am Ende aber klar für Dortmund entschieden. Der BVB ist ein großer Klub, auch wenn die Tischtennis-Abteilung gerade erst in die erste Liga aufgestiegen ist, hat hier alles sehr hohen Standard. Ich muss mich um nichts sorgen und um nichts kümmern. Auch die Trainer sind immer gut zu mir. Tischtennis bei Borussia Dortmund hat wirklich Potenzial.“
Magst Du Fußball? Warst Du schon mal im Stadion?
„Nein, ich bin nicht wirklich interessiert an Fußball. Ich kenne den einen oder anderen Spieler, aber nicht alle. Und ich war tatsächlich noch nicht im Stadion, nicht in Dortmund und auch sonst nirgendwo – aber ich habe natürlich von der einzigartigen Atmosphäre gehört und weiß, dass ich da eigentlich unbedingt mal hin muss. Weißt Du was: Ich werde mir das jetzt vornehmen.“
Apropos „vornehmen“: Was machst Du zwischen zwei Spielen am liebsten?
„Zwischen zwei schnell aufeinanderfolgenden Spielen möchte ich eigentlich gerne abschalten und gar nicht so viel trainieren und ausprobieren – allerdings sind die Unterschiede zwischen einem Heim- und einem Auswärtsspiel manchmal eklatant. Tische unterschiedlicher Hersteller haben völlig verschiedene Eigenschaften, ebenso die Bälle. Zwischen TIBHAR, andro und Donic liegen an manchen Tagen Welten. Das macht es schwierig. Deshalb muss man doch wieder trainieren, um sich darauf einzustellen. Beim Tischtennis kommt es auf die Details an.“
Neben viel Talent und viel Fleiß hat Tischtennis auch sehr viel mit dem Kopf zu tun.
„Beim Tischtennis ist mentale Stärke enorm wichtig. Für mich ist es die größte Herausforderung, in einem Spiel, in dem es auf und ab geht, jederzeit bei mir zu bleiben und auf meine Stärken zu vertrauen. Wenn du immer gewinnst, bist du sicher und praktisch unantastbar. Wenn du aber manchmal gewinnst und manchmal verlierst, dann beginnst du irgendwann im Verlauf des Spiels darüber nachzudenken; das ist menschlich, und trotzdem musst du es unterdrücken; denn genau in dem Moment, in dem du darüber nachdenkst, verlierst du das Spiel, weil du nicht zu 100 Prozent auf den nächsten Ball fokussiert bist. Du musst im Kopf komplett frei von Gedanken sein. Es geht immer nur um den einen Ball, der gerade gespielt wird. In jeder Phase eines Spiels, in der du nicht 100-prozentig fokussiert bist, verlierst du die Punkte am laufenden Band. Das ist für mich immer wieder die härteste Probe. Es ist die hohe Kunst des Tischtennis-Sports.“
„Hohe Kunst“ führt uns zu Deinem Insta-Account: Dort erfährt man, dass Du nicht nur Tischtennisspieler bist, sondern auch ein Kalligraf. Was hat es damit auf sich?
„Chinesische Kalligrafie meint Schreiben in einer besonderen Weise, es ist eine Art von Kunst. Mein Vater war früher ein professioneller Kalligraf, von ihm habe ich alles gelernt. Ich habe damit begonnen, als ich drei Jahre alt war, also noch vor Tischtennis – und mein Vater dachte zunächst, ich würde ein erfolgreicher Kalligraf werden und kein Tischtennisspieler. Aber schon bald hat sich meine Liebe zum Tischtennis entwickelt. Und sie ist geblieben.“
Bleiben will auch der BVB – und zwar in der TTBL. Was sind Deine Ziele für das Saisonfinale in der stärksten Liga Europas?
„Das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft genügend Spiele gewinnen, um die Klasse zu halten. Hoffentlich können wir das frühzeitig regeln, damit der ganz große Nervenkitzel am Ende ausbleibt. Dafür werde ich bis zum Schluss mein Bestes geben.“