90PLUS
·27. Mai 2022
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·27. Mai 2022
Die Gruppenphase der Copa Libertadores 2022 ist vorüber. Wieder einmal hat der größte Vereinswettbewerb in Südamerika die Zuschauer in seinen Bann gezogen. Es gab spektakuläre Spiele, viele sehenswerte Szenen und auch in dieser Saison haben sich einige Spieler in den Vordergrund spielen können.
Die Entscheidungen sind gefallen. Nach einem torreichen 6. Spieltag mit insgesamt 62 Treffern in 16 Spielen (3,9 Tore pro Partie) steht das Teilnehmerfeld der K.O.-Phase der Copa Libertadores 2022 fest. Palmeiras ist die einzige Mannschaft mit der perfekten Punkteausbeute von 18 Zählern aus sechs Partien. Darüber hinaus stellen sie mit 25 „Buden“ nicht nur die beste Offensive dieser Gruppenphase, sondern gleich den besten Angriff aller Zeiten, seitdem das Turnier 1960 erstmals ausgetragen wurde.
Doch auch River Plate aus Buenos Aires, die die zweitbeste Mannschaft der Gruppenphase sind, ließen am letzten Spieltag nochmal die Muskeln spielen. Mit 8:1 fegten Marcelo Gallardos Jungs die überforderten Peruaner von Alianza Lima aus dem Stadion. Julián Álvarez, den es bald nach England zu Pep Guardiolas Manchester City ziehen wird, erzielte einen Sechserpack. Das ist im legendären Monumental im Norden von Buenos Aires noch nie einem Spieler gelungen. Der junge Angreifer schrieb Geschichte.
(Photo by Marcelo Endelli/Getty Images)
Am Ende qualifizierten sich alle sechs Teams aus Argentinien (River Plate, Boca Juniors, Talleres, Colón, Estudiantes und Vélez Sarsfield), sechs Mannschaften aus Brasilien (Palmeiras, Flamengo, Atlético Mineiro, Athletico Paranaense, Corinthians und Fortaleza), zwei aus Paraguay (Libertad und Cerro Porteño) und jeweils eine aus Kolumbien (Deportes Tolima) und Ecuador (Emelec).
Aufgrund der Dominanz von Palmeiras und River, könnte man glatt eine Top11 der Gruppenphase bei der Copa Libertadores aufstellen, die ausschließlich aus Spielern von „Verdão“ und „Los Millonarios“ besteht. Doch so einfach machen wir es uns nicht. Deswegen wird von jedem Klub nur ein einziger Spieler vertreten sein.
Dass Caracas bis zuletzt auf einen Einzug ins Achtelfinale hoffen konnte, lag zu einem großen Teil an Schlussmann Alain Baroja. Der Kepper kassierte in den ersten fünf Spielen nur drei Gegentreffer. Beim bemerkenswerten 0:0 zum Auftakt gegen Copa Sudamericana-Gewinner Athletico Parananense rettete Borja mit spektakulären Paraden fast im Alleingang einen Zähler. Genauso sicherte Baroja beim 1:1 gegen The Strongest und 1:0 gegen Libertad weitere eher unerwartete Punkte. Insgesamt spielte der Keeper drei Mal zu null und zeigte rund sechs Paraden pro Spiel – Bestwert! Besonders in Anbetracht der im Vergleich zu den Gruppengegner deutlich geringeren Qualität des Kaders sind dies beachtliche Zahlen. Mit einem arg geschwächten Kader gab es nur am letzten Spieltag die deutliche 1:5-Niederlage in Brasilien. Da konnte selbst Baroja nichts retten.
In einem Wettbewerb mit den Spielern Hulk, Hércules oder Yago Pikachu kann es nur Einen geben. In diesem Fall schafft es nur Letzterer in die Top11. Der flinke Yago Pikachu beackert in Fortalezas 3-5-2 die komplette rechte Außenbahn und ist für den argentinischen Trainer Vojvoda unersetzlich. Wie wichtig der Brasilianer für sein Team ist, erkennt man leicht. Mit vier Vorlagen und zwei Toren ist er, trotz vieler defensiven Aufgaben, die der 29-Jährige gleichzeitig zu bewältigen hat, der erfolgreichste Spieler im Kader. Letztes Jahr wurde Yago Pikachu auch in die Top11 der brasilianischen Serie A gewählt. Seine beeindruckenden Auftritte sind daher keine Überraschung.
Estudiantes aus dem argentinischen La Plata in der Nähe von Buenos Aires ist die positivste Überraschung der Gruppenphase. Die Kompaktheit von „El Léon“ war der Garant des Erfolges. In den ersten fünf Begegnungen kassierte das Team nur einen einzigen Gegentreffer. Innenverteidiger Agustín Rogel ist das Sinnbild dieses Auftretens. Seine Ruhe und dennoch aggressive Zweikampfführung machen den 24-Jährigen unverzichtbar. Außerdem ist der 1,91 große Uruguayer im Kopfballduell nur selten zu schlagen, sodass bereits vier Treffer auf dem Konto des Abwehrhünen verzeichnet sind. An ihm führt kein Weg vorbei – weder im Spiel noch in dieser Top11.
Es ist Fluch und Segen zugleich, dass die Aufmerksamkeit für südamerikanische Toptalente meist nur Offensivspielern zuteil wird. Geht es um Juwelen aus Paraguay denkt man in diesen Tagen zwangsläufig an Libertads quirligen Julio Enciso und das nicht ganz zu Unrecht. Doch auch Alexis Duarte von Rekordmeister Cerro ist ein besonderer junger Spieler aus Paraguay. Insgesamt kassierte der Traditionsklub aus Asunción nur vier Gegentreffer. Neben seiner Zweikampfstärke (58% gewonnene Duelle) zeichnet Duarte seine tolle Übersicht im Aufbauspiel aus. Auch seine hohen und flachen Steilpässe leiten regelmäßig gefährliche Torsituationen ein. In Zukunft kann Paraguay also auf einige talentierte Kicker vertrauen.
Anders als erwartet gelang Atlético Mineiro kein Durchmarsch. Obwohl man die Qualifikation fürs Achtelfinale bereits am 5. Spieltag sicherte, endete der Verein aus Belo Horizonte am Ende punktgleich mit Deportes Tolima auf dem ersten Rang. Ein unerwartetes Endergebnis in einer zugegebenermaßen starken Gruppe. Wie bereits im Vorjahr machte einmal mehr Guilherme Arana auf sich aufmerksam. Der Linksverteidiger, der nach seinem kurzen Intermezzo beim FC Sevilla 2020 nach Brasilien zurückkehrte, ist jahresübergreifend eine Augenweide. Trotz seine defensiv-orientierten Position setzt Arana in hoher Regelmäßigkeit äußerst effektive Akzente im Angriffsspiel von „Galo“. Zwei Torvorlagen und vier herausgespielte Großchancen können sich sehen lassen. Längst ist auch Brasiliens Nationaltrainer Tite auf den Flankengott aufmerksam geworden und beruft ihn mittlerweile regelmäßig für die Selecão.
Ähnlich wie Estudiantes ist auch Colón aus dem argentinischen Santa F eine positive Erscheinung des Turniers. Als Gruppensieger, einem frenetischen Publikum und dementsprechenden drei 2:1-Heimsiegen zog der Klub zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte in die K.O.-Phase der Copa Libertadores ein. Im modernen 3-4-2-1 von Trainer Julio Falconi spielt Federico Lértora im zentralen Mittelfeld eine essenzielle Rolle. Der beinharte Zweikämpfer hält zusammen mit seinem Positionspartner Rodrigo Aliendro die Spielfeldzentrale zusammen und agiert bei nahezu jedem Angriff als wichtige Passstation. Seine Ruhe scheint sich auf das gesamte Team auszuwirken. Dass Lértora überraschender Weise im Spiel gegen Olimpia sogar als Doppeltorschütze auftrat, sicherte dem Argentinier den Platz in unserer Top11.
Kann ein Spieler, der in der Gruppenphase nur vier Spiele und insgesamt 175 Minuten absolviert hat, überhaupt in der Top11 landen? Raphael Veiga kann! Der kreative Kopf von Palmeiras ist mit einem so großen Talent und einem so gefühlvollen linken Fuß gesegnet, dass im Grunde jede seiner Aktionen die Fans verzaubert. Seine Bilanz bei nur zwei Starelfeinsätzen spricht für sich: 175 Spielminuten, sechs Tore (alle 29 Minuten ein Tor), eine Passquote von 80% als offensiver Mittelfeldspieler dazu durchschnittlich 3,5 Torschussvorbereitungen. Obwohl Trainer Abel Ferreira seine erste Elf in den sechs Gruppenspielen ordentlich durchmischte, ist Raphael Veiga einmal mehr der spektakulärste Spieler der „alviverde“.
Das Äquivalent zu Veiga bei Palmeiras ist bei Konkurrent Flamengo aus Rio de Janeiro der Uruguayer Giorgian de Arrascaeta. Der Kreativposten von „Rubro-Negra“ kommt ebenfalls auf vier Einsätze, jedoch mit 330 Spielminuten auf fast doppelt so viele wie Pendant Veiga. Unabhängig der Einsatzzeiten ist „Gio“ ähnlich kreativ und technisch ebenfalls eine Augenweide. Der Nationalspieler ist hingegen kompromissloser und insgesamt vielleicht ein wenig zielstrebiger. Sein Tor gegen Talleres aus der Distanz war einer der schönsten Treffer der Gruppenphase und beschreibt seine Stärken gut. Mit einer technisch perfekten An- und Vorlage umzingelt von fünf Gegner zog de Arrascaeta aus ca. 18 Metern mit der perfekten Mischung aus Präzision und Gewalt ab, sodass der Ball unschlagbar im rechten Winkel einschlug – sehenswert.
Kolumbien ist zurück. Nach einem desaströsen 2021 auf dem internationalem Parkett – auch aufgrund der sozialen Unruhen im Land – ist mit Deportes Tolima ein kolumbianischer Teilnehmer in der diesjährigen K.O.-Phase mit von der Partie. Der Spielstil von „Los Pijaos“ weist eine spannende Mischung aus mannschaftlicher Geschlossenheit und individueller Klasse vor. Des Weiteren verfügt das Team über viele schnelle Außenspieler und technische herausragende Akteure. Mit Ánderson Plata stach in der Gruppenphase einer der vielen erfahreneren Kicker heraus. Seine vier Turniertreffer sicherten Tolima umgerechnet stolze fünf Punkte. Mit dem 2:1 in Belo Horizonte gegen Atlético Mineiro setzten die Kolumbianer ein weiteres Ausrufzeichen. Das Team ist hungrig auf mehr und im Achtelfinale nicht chancenlos – egal gegen welchen Gegner.
Das Ausscheiden von Colo-Colo bedeutet einen herben Verlust für die Copa Libertadores. Die Chilenen zeigten aufopferungsvolle und äußerst offensivfreudige Auftritte. Zusammen mit Stürmer Martín Lucero und Gabi Costa bildet Rechtsaußen Pablo Solari ein furioses Angriffstrio. Solaris eindrucksvolle Dribblings mündeten mehrfach in Torerfolgen. Der kleine und wendige Argentinier genießt großes Vertrauen von seinem Coach Gustavo Quinteros, der seinem Schützling viele Freiheiten lässt. Hier und Da übertreibt es Solari allerdings noch, sodass er einer der Spieler mit den meisten Ballverlusten der Gruppenphase ist – der Fluch der Dribbelkünstler. Immerhin geht es für Colo-Colo in der Copa Sudamericana weiter, sodass wir weiterhin die Offensivkraft des Traditionsvereins auf der internationalen Bühne genießen dürfen.
Nicht nur wegen seines Sechserpacks ist Julián Álvarez der beste Stürmer der Copa Libertadores Gruppenphase 2022. Neben seinem historischen Erfolg steuerte Argentiniens Nationalspieler zwei Assists bei, gab mit fast fünf Torschussvorlagen pro Spiel durchschnittlich die meisten des Wettbewerbs und verzeichnet die erfolgreichste Dribbelquote seines Teams. Álvarez vereint eine extrem hohe, mannschaftsdienliche Arbeitsrate und eine effektive Spielgestaltung, durch die er eben nicht nur als Torschütze, sondern eben auch als kreative Anspielstation in der Offensive funktioniert. Ein Jammer für jeden Fan des südamerikanischen Vereinsfußballs, dass „Araña“ (Spinne) schon bald Richtung Manchester aufbrechen wird. Auch wenn dieser Qualitätsverlust für River nicht eins zu eins zu ersetzen ist, kann der breite Kader den Verlust zumindest in Grenzen halten. Vor allem Neuzugang Esequiel Barco wirkt von Spiel zu Spiel gefährlicher und fügt sich immer besser in Gallardos Spielsystem ein. River Plate bleibt einer der Favoriten auf den Sieg der Copa Libertadores 2022 beim Finale am 29. Oktober 2022 im ecuadorianischen Guayaquil.
(Photo by Marcelo Endelli/Getty Images)
Text von Johannes Skiba