OneFootball
Maximilian von Stuckrad-Barre·14. Juni 2024
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Maximilian von Stuckrad-Barre·14. Juni 2024
Was macht einen richtig guten Box-to-Box-Spieler aus? In erster Linie wohl Kampfgeist, Mut und Ausdauer. Schließlich muss der Box-to-Box-Spieler überall sein und alles machen. Vorne anrennen, im Mittelfeld die Zweikämpfe gewinnen und am eigenen Sechzehner die entscheidenden Tacklings auspacken. Kurzum: Der Box-to-Box-Spieler darf sich für nichts zu schade sein. Womit mit wir auch schon bei John McGinn wären.
Dass John McGinn dahin geht, wo es wehtut, hat er also schon vor seiner ersten Spielminute bei der heute beginnenden EM in Deutschland bewiesen. Was der Mittelfeldmotor hier beim Empfang im schottischen EM-Quartier in Garmisch-Partenkirchen aber eben auch andeuten konnte: Vielseitigkeit. Und die macht McGinn zu einem Spieler, der der DFB-Elf heute Abend ernsthaft gefährlich werden kann.
Auf McGinn als Gefahr für einen gelungenen deutschen EM-Start hinzuweisen, macht auch deshalb Sinn, weil es nicht unbedingt auf der Hand liegt. Denn wer an einen schottischen Mittelfeldspieler denkt, hat vor allem die eingangs schon erwähnten Attribute im Sinn. Von einem Box-to-Box-Spieler aus Schottland erwartet man hauptsächlich das, was Julian Nagelsmann als “talentfreie Aktionen” versteht. Kämpfen, Grätschen, Kilometerfressen. All das beherrscht der 29-Jährige in Perfektion, aber zum möglichen Leidwesen der deutschen EM-Stimmung nunmal noch ein bisschen mehr.
Beim unter Unai Emery sensationell in die Champions League gestürmten Premier-League-Klub Aston Villa ist McGinn nämlich eben nicht - so wie man es erwarten könnte - das eine Raubein, das im Mittelfeld den Künstlern hinterher räumt. Obwohl er alles andere als ein Kostverächter der ganz normalen Drecksarbeit ist, kommt auch die Kunst bei McGinn nicht zu kurz. Wenngleich die bisweilen etwas unkonventionell aussieht.
Eine der großen Stärken McGinns ist die Ballbehauptung. Fast immer, wenn er an den Ball kommt, packt er dazu seine wohl stärkste Waffe aus: Seinen Po. Im Moment der Ballannahme fährt McGinn meistens sofort den Allerwertesten aus, schafft dadurch maximalen Abstand zwischen Gegner und Ball und dreht sich dann mit weit ausgefahrenem Hinterteil soweit um den Gegenspieler, dass er freie Bahn hat. Für Schottland ist dieser Move oft sehr effektiv, da er auch die Mitnahme von schwierigen Bällen während schnell ausgespielter Konterangriffe ermöglicht.
Dass McGinn so als entscheidender Verbindungsspieler zwischen Abwehr und Angriff eine wichtige Rolle spielt, zeigen unter anderem die fünf Torbeteiligungen in acht EM-Qualifikationsspielen. Was mit Blick auf diese acht Spiele aber auch auffällt: Es ist kaum möglich, ihn einer festen Position zuzuordnen. Er begann die Quali als Zehner, spielte dann für ein Spiel als Rechtsaußen, dann eins als hängende Spitze, mal im rechten Mittelfeld und schließlich wieder als Zehner. Eine Flexibilität, die er seinem Klubtrainer Unai Emery zu verdanken hat.
Während seiner ersten vier Jahre bei Aston Villa hatte McGinn seine feste Position immer im zentralen Mittelfeld, wo er durch Lauf- und Zweikämpfstärke das lieferte, was bei einem englischen Mittelfeldteam eben gefragt ist: Die besagten “talentfreien Aktionen”. Als Unai Emery dann im November 2022 bei den Villains übernahm, kamen plötzlich die talentvollen Aktionen dazu.
Emery schob den Schotten dabei auf dem Feld hin und her, mal rechts, mal zentral-defensiv, mal als Zehner. Die starke Ballbehauptung funktionierte überall, wurde zum zentralen Element in Aston Villas und mittlerweile auch Schottlands Angriffsspiel.
Das DFB-Team muss McGinn allerdings nicht nur als mögliche Gefahr sehen, zumindest einem deutschen Spieler darf er nämlich auch Hoffnung machen. Denn der Umstand, dass es einem Spieler durchaus helfen kann, immer wieder auf eine neue Position geschoben zu werden, dürfte vor allem ein gewisser Kai Havertz interessiert zur Kenntnis nehmen. Was nun allerdings wirklich nicht heißen soll, dass wir Kai Havertz den Schuhplattler tanzen sehen wollen.