MillernTon
·30. September 2024
MillernTon
·30. September 2024
Wenig Ballbesitz, kompakte Defensive, viele Fouls, hohe Laufbereitschaft – mit dieser Spielweise ist der FC St. Pauli, spätestens nach dem Sieg in Freiburg, in der Bundesliga angekommen.(Titelfoto: Alex Grimm/Getty Images/via OneFootball)
Mario Gomez und Holger Badstuber standen in der Startelf, Tim Walter als ihr Trainer an der Seitenlinie. Klingt nach lange her? Ist es auch. Im August 2019 spielte der FC St. Pauli gegen den VfB Stuttgart. Mit Kevin Lankford und Viktor Gyökeres, Finn Ole Becker und Marvin Knoll, angeleitet von Jos Luhukay. Das Spiel am 3. Spieltag der Saison 19/20 ging damals mit 1:2 verloren.
Warum zur Hölle dieses trostlose Ding wieder ins Scheinwerferlicht gezogen wird? Nein, nicht weil Walter kurz danach gehen musste. Am liebsten würde ich das vergessen wollen, schließlich drehten die Stuttgarter das Spiel durch einen Treffer in der 90. Minute doch noch in einen Sieg. Erinnerungen an erfolgreiche Zeiten sind es also auch nicht. Vielmehr wird dieses Spiel rausgekramt, weil der FC St. Pauli damals genau 228 Pässe spielte – und damit fünf weniger als am Samstag in Freiburg.
Zwischen diesen beiden Spielen ist viel passiert: Fast-Abstieg, Super-Burgi, Fast-Aufstieg, Schultz raus, Zehn Siege in Serie, drölfmillionen Mal ungeschlagen, Aufstieg, Brighton, Blessin. Was aber nie passierte in all den schönen und schrecklichen Zeiten? Dass der FC St. Pauli auch nur annähernd so wenige Pässe spielte wie damals in Stuttgart.
Und womöglich muss man sogar noch weiter zurückschauen, um herauszufinden, wann der FCSP weniger Pässe als vergangenen Samstag im Breisgau spielte. Denn Wyscout sagt, man habe damals 228 Pässe gespielt, beim kicker sind es 275 – ein ungewöhnlich großer Unterschied.Doch ob das nun 275 oder 228 Pässe waren, ist ziemlich wumpe. I think I’ve made my point here: Es ist richtig, richtig lange her, dass der FC St. Pauli mal so wenig Ballbesitz hatte und so wenige Pässe spielte wie beim erfolgreichen 3:0-Auswärtssieg in Freiburg.
Der Unterschied zwischen damals und heute? Damals hätte der FCSP gerne mitgespielt, konnte es aber nicht wirklich gegen ballsichere und druckvolle Stuttgarter. In Freiburg aber hätte der FC St. Pauli sicher auch selbst etwas mehr und länger den Ball haben können. Allein, das Team hatte einen ganz anderen Fokus, eine andere Idee, wie man erfolgreich sein möchte im Breisgau. Es hat funktioniert.
Die Bereitschaft, auf den Ball zu verzichten, sich lieber kompakter aufzustellen und möglichst schnell umzuschalten, ist ein großer Unterschied zur Vorsaison. Unter Fabian Hürzeler wollte der FC St. Pauli unbedingt den Ball haben, spielte einen sehr eleganten Ballbesitzfußball und legte sich den Gegner bei eigenem Ballbesitz geduldig zurecht.
Unter der Leitung von Alexander Blessin geht es nach Ballgewinn weniger um Ballsicherung, sondern eher darum diesen, risiko- aber aussichtsreich, schnellstmöglich nach vorne zu passen. In aller Deutlichkeit: Der Unterschied in der Spielidee zwischen Hürzeler und Blessin könnte an diesem Punkt größer nicht sein. Der FC St. Pauli ist in den letzten beiden Spielen NICHT „zum System der Vorsaison“ zurückgekehrt.
So hat der FC St. Pauli also aus der Not, dass man in der Bundesliga weniger oft den Ball haben wird, eine Tugend gemacht und sich in Freiburg defensiv enorm klug angestellt. Das gelang schon im Spiel davor überragend. Weder Freiburg, noch Leipzig haben in dieser Saison in einem der vier anderen Spiele weniger Torschüsse abgegeben, als gegen den FC St. Pauli. Gleiches gilt für Heidenheim. Sowieso haben nur drei Teams (Bayern, Freiburg, Union) bisher weniger Torschüsse zugelassen als der FCSP. Bei den zugelassenen xG-Werten liegt man auf Platz sechs.
Noch eine Statistik wurde lange nicht mehr mit solchen Zahlen vom FC St. Pauli gefüttert: In Freiburg waren 18 Situationen des FCSP regelwidrig. Also zumindest laut der Interpretation von Schiedsrichter Gerach. Es ist ebenfalls schon einige Jahre her, dass häufiger Foul gegen den FCSP gepfiffen wurde: Im Januar 2021 war das zuletzt der Fall, beim Spiel gegen die Würzburger Kickers. Ein Spiel, bei dem es klar um den Klassenerhalt ging, wie jetzt auch. Zwar erklärte Alexander Blessin nach der Partie, dass man sich da an der ein oder anderen Stelle klüger anstellen müsse, um gute Freistoßpositionen für den Gegner zu verhindern, doch zeigen die Zahlen auf, dass die Intensität im Spiel des FC St. Pauli enorm hoch gewesen ist.
Welche Statistik vom FC St. Pauli ebenfalls mit großen Zahlen gefüttert wird, ist die Anzahl an gelaufenen Kilometern. Der FCSP ist weiterhin das laufstärkste Team der Bundesliga. Das waren sie in der Vorsaison in der zweiten Liga auch schon. Generell sind Laufdistanzen über 120 Kilometer pro Spiel ungewöhnlich, auch in der Bundesliga. Der FCSP hat diese Marke bisher in drei von fünf Spielen geknackt.
Laufstark, giftig in den Zweikämpfen, kompakt angeordnet gegen den Ball, gefährlich in Umschaltmomenten – Alexander Blessin sagte zu Saisonbeginn: „Ich möchte, dass die Gegner, ob bei uns daheim oder auswärts, sagen: ‚Gegen St. Pauli zu spielen ist echt unangenehm, es ist einfach ekelhaft.‘„ Damit dürfte er genau das gemeint haben, was man zuletzt vom FC St. Pauli sehen konnte. An Motivation, dieses „Ekelhafte“ umzusetzen, mangelt es nicht bei den Spielern. Philipp Treu erklärte nach dem Auswärtssieg in Freiburg euphorisch: „Es war brutal geil, wie wir alles weggesteckt und zusammen verteidigt haben.“
Nach Abpfiff in Freiburg trat auch ein sichtlich erleichterter Andreas Bornemann bei Sky ans Mikrofon und erklärte: „Wir haben gesagt: Wir werden etwas brauchen, um in der Liga anzukommen. Und wir brauchen alles, um in der Liga drinzubleiben.“ Bornemann erklärte zudem, dass der Abstand zu den etablierten Clubs der Liga riesig sei und diese Lücke versuche man „im wahrsten Sinne des Wortes zuzulaufen,“ kam also auch auf die Laufintensität zu sprechen, die es seiner Ansicht nach benötigt, um in der Bundesliga zu bleiben.
Es läuft also vieles richtig beim FC St. Pauli. Die Defensivleistungen gegen Leipzig und Freiburg waren jeweils überragend. Bleibt die Frage, warum es drei Spiele dauerte, bis man zu dieser Spielweise gefunden hat. Jackson Irvine erklärt das unter anderem mit leichten Anpassungen im Defensivverhalten: „Wir haben zum Start in die Saison ein paar Tore aus gegnerischem Umschalten heraus kassiert. Die haben wir nun eliminiert, indem wir etwas weiter zurück gerückt sind und in der Mitte keinen Platz gelassen haben.“
Aber na klar, Elias Saad und Dapo Afolayan sind hervorzuheben, wenn es darum geht zu benennen, was da nun besser läuft. Es steht völlig außer Frage, dass der FC St. Pauli offensiv mit diesen beiden Spielern auf dem Platz besser besetzt ist. Und der FCSP braucht beide Spieler, um offensiv mehr Gefahr zu erzeugen. Denn auch wenn der taktische Plan voll aufgeht: Ohne ein gewisses Maß an individuellen Fähigkeiten wird das nichts mit Torgefahr. Somit stellt sich die Frage: Warum hat Alexander Blessin nicht direkt so spielen lassen? Warum standen Saad und Afolayan in den ersten drei Partien nicht in der Startelf?
Elias Saad und Dapo Afolayan haben in den letzten beiden Spielen für mächtig Betrieb in der Offensive des FC St. Pauli gesorgt. Ihre Bedeutung für die Defensive ist aber vermutlich noch größer und wichtiger. // (Alex Grimm/Getty Images/via OneFootball)
Hinweise liefert der FCSP-Kapitän Jackson Irvine: „Unsere beiden Flügel waren unglaublich gegen den Ball,“ erklärte er nach Abpfiff in Freiburg. Auch Elias Saad selbst wollte nach dem Spiel am Sky-Mikro primär über die gute Arbeit des gesamten Teams gegen den Ball sprechen, weniger über seine Tore. Das passt zu der Erklärung, die auch Blessin zuletzt lieferte, wenn er auf das Thema angesprochen wurde: „Es ging mir immer darum, dass jeder versteht, wie wichtig in unserer Art Fußball zu spielen, die defensive Stabilität ist.“
Bevor also der große „Fehler“ der ersten drei Ligaspiele bei der personellen Aufstellung und damit mehr oder weniger direkt bei Alexander Blessin gesucht wird, muss dringend erstmal geklärt werden, was überhaupt die Kriterien sind. Offensivspieler werden öffentlich zumeist aufgrund ihrer Offensivleistung bewertet. Für das Team selbst ist aber ihre Arbeit gegen den Ball genauso wichtig. Im Falle des FC St. Pauli 24/25 ist diese Arbeit vielleicht sogar etwas wichtiger als jene in der Offensive.
Bei diesem Thema schien Alexander Blessin nicht so ganz zufrieden zu sein mit dem, was Saad und Afolayan bis zum Leipzig-Spiel angeboten hatten. Diese Entscheidung und die drei Niederlagen zum Auftakt wurden dem jetzigen Cheftrainer in den Sozialen Medien von vielen Seiten angeheftet. Doch mit dieser Entscheidung ist er nicht allein gewesen. Mich würde interessieren, ob die gleichen Personen mit Fabian Hürzeler auch so hart ins Gericht gegangen sind (Spoiler: sicherlich nicht).
Denn dass ein Cheftrainer mit der Defensivarbeit dieser beiden Spieler unzufrieden ist, ist nicht neu. „Elias ist ein Paradebeispiel dafür, dass es immer darum gehen muss, was uns stark gemacht hat,“ waren die Worte von Fabian Hürzeler mit denen er erklärte, warum Elias Saad kurz vor dem Saisonfinale 23/24 plötzlich auf der Bank Platz nehmen musste. „In Kiel hat er aber im ein oder anderen Moment die Defensive schleifen lassen. Das hat mir nicht gefallen,“ waren Hürzelers Worte zur Leistung Afolayans im Februar 2024. Die Arbeit beider Spieler gegen den Ball war also schon in der Vorsaison ein wiederkehrendes Thema. Weil man damit von Trainerseite nicht immer zufrieden gewesen ist.
Zurück zur jetzigen Saison. Wenn nun die Arbeit gegen den Ball noch mehr Bedeutung besitzt, weil man in diesem Bereich nun noch mehr gefordert wird als in der zweiten Liga, dann gibt es womöglich schon gute Argumente, warum Saad und Afolayan zu Saisonbeginn nicht auf dem Platz standen. Doch das Beste an dieser Diskussion ist: Vor allem mit ihrer Arbeit gegen den Ball haben beide Spieler zuletzt begeistern können. Zusammen führten sie 14 Defensivzweikämpfe gegen Freiburg, fingen sieben gegnerische Pässe ab. Gegen Leipzig waren es 19 Duelle und acht abgefangene Pässe. Die Frage, ob sie auch kommende Partie in der Startelf stehen, hat sich damit vorerst erledigt, wenn beide auch weiterhin so agieren.
Dabei wird die Defensivarbeit zukünftig nicht immer ganz so tief stattfinden, wie in Freiburg. Der FC St. Pauli hatte dort sicher, aber insgesamt sehr tief gestanden. Bereits zu Beginn der zweiten Halbzeit wurde das angepasst, der FCSP störte die Freiburger früher. Aufgrund einer Umstellung des Gegners wurde man wieder tiefer reingedrückt, Blessin möchte aber gerne weiter vorne positioniert sein: „Wir werden das anpassen und nicht ständig im tiefen Block stehen. Denn wenn wir dann einen Ballgewinn erzielen, sind wir näher zum Tor.“
Ob das so klappt, davon kann man sich am kommenden Samstag ab 18:30 Uhr am Millerntor überzeugen. Dann nämlich empfängt der FC St. Pauli den 1. FSV Mainz 05. Ein Club, der für seine Verhältnisse schleppend in die Saison gestartet ist (fünf Punkte bisher). Bereits kurz nach Abpfiff in Freiburg war Elias Saad am Sky-Mikro die Vorfreude auf diesen Samstagabend anzumerken: „Millerntor, Abendspiel – es gibt kein besseres Stadion.“
Alexander Blessin betonte vor der Saison, dass man „eklig“ spielen wolle. Dass man Defizite mit Lauf- und Einsatzbereitschaft wettmachen müsse. Und er bat vor der Saison um weitere Vorbereitungszeit, erklärte, dass das Team noch nicht so weit sei bei der Umsetzung der neuen Ideen. Nach den letzten beiden Spielen muss man nun aber festgehalten: Die Vorbereitungszeit ist nun abgeschlossen. Und der FC St. Pauli ist ziemlich gut.// Tim
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