90PLUS
·20. November 2024
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·20. November 2024
Mit den Nations-League-Partien gegen Bosnien-Herzegowina und Ungarn endete nun auch das Länderspieljahr der deutschen Nationalmannschaft. Während zahlreiche Akteure die Duelle zur Eigenwerbung nutzten, müssen einige Spieler um ihre langfristige Zukunft im DFB-Trikot fürchten. Wir blicken auf die Gewinner und Verlierer der November-Begegnungen.
Sportlich hatten die Nations-League-Duelle gegen die Außenseiter aus Bosnien-Herzegowina und Ungarn nicht mehr die ganz große Bedeutung. Der Sieg in Vorrundengruppe A war der deutschen Mannschaft schon vor Beginn der Länderspielphase kaum noch zu nehmen, der ebenso deutliche wie überzeugende 7:0-Erfolg über heillos überforderte Bosnier sorgte in dieser Hinsicht schnell für endgültige Klarheit.
Dass die DFB-Elf – mit Ausnahme der Verletzten – trotzdem nahezu alle Spieler beisammen hatte, spricht für den wieder entdeckten Ehrgeiz, der die Nagelsmann-Schützlinge in den vergangenen Monaten sichtbar ausgezeichnet hat. Insbesondere Kapitän Joshua Kimmich betonte immer wieder, wie wichtig jeder einzelne Sieg doch für das Selbstverständnis der Mannschaft sei. Der Jahresabschluss der deutschen Mannschaft brachte folglich vor allem Gewinner hervor. Und dennoch gibt es Akteure, die auch mit einem weinenden Auge auf die abgelaufene Woche blicken dürften.
Tim Kleindienst: Der Torjäger in Diensten von Borussia Mönchengladbach weilte erst zum zweiten Mal im Kreis der Nationalmannschaft. Noch vor seinen ersten Einsätzen im Oktober hielten viele Beobachter die Kleindienst-Nominierung eher für eine folgerichtige Belohnung konstant guter Leistungen im Verein und weniger für eine Personalie mit dauerhaften Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse im DFB-Sturm.
Doch Kleindienst belehrte die Zweifler eines Besseren und betrieb durch seinen Doppelpack gegen Bosnien-Herzegowina mächtig Eigenwerbung. Es ist jedoch nicht nur der Torjäger-Instinkt, der den 29-Jährigen so besonders macht. Kleindienst arbeitet gegen den Ball mehr als nahezu alle anderen Stürmer und ist darüber hinaus fußballerisch deutlich gereift. Sollte er seine herausragende Form in Gladbach auch über die kommenden Monate konservieren, könnte sich der großgewachsene Spätstarter länger als zunächst vermutet in der deutschen Nationalmannschaft festspielen.
Oliver Baumann: Das Job-Sharing zwischen Oliver Baumann und Alexander Nübel im DFB-Tor kommt im kommenden Jahr zu einem Ende. „Ich habe da schon eine Tendenz“, erklärte Julian Nagelsmann nach dem Abpfiff gegen Ungarn und fügte hinzu: „Die verrate ich aber nicht, weil ich beiden die Chance geben will, sich zu präsentieren.“ Fest steht: Das Argument der weißen Westen hat Baumann eindeutig auf seiner Seite. Sowohl gegen die Niederlande als auch gegen Bosnien spielte der Hoffenheimer zu null, während sein Stuttgarter Konkurrent in beiden Einsätzen je einmal hinter sich greifen musste.
(Photo by Adam Pretty/Getty Images)
Der 34-jährige Routinier wurde insgesamt wenig gefordert, war – wenn doch – aber jederzeit zur Stelle. Gegen den Bosnier Armin Gigovic zeichnete sich Baumann kurz vor der Halbzeit mit einer beeindruckenden Fußabwehr aus. Auch Nübel machte seine Sache sowohl im Oktober als auch gegen Ungarn bravourös, doch das Duell um die vorübergehende Ter-Stegen-Nachfolge könnte der Oldie erstmal für sich entschieden haben. Baumann ist insgesamt etwas weniger fehleranfällig und strahlt eine enorme Ruhe aus.
„Wusiala“: Dass Florian Wirtz und Jamal Musiala die Zukunft des deutschen Fußball sein werden, zeichnet sich bereits seit geraumer Zeit immer deutlicher ab. Im Länderspieljahr 2024 übernahm „Wusiala“ dann auch im DFB-Dress endgültig eine Schlüsselrolle. Beide Youngster beeindruckten schon bei der Heim-Europameisterschaft im Sommer und sind seitdem nur noch besser geworden.
Die herausragenden Leistungen beim 7:0 gegen Bosnien sind daher nur wenig verwunderlich. Aber gerade die Selbstverständlichkeit solcher Gala-Auftritte in allerhöchster Regelmäßigkeit ist es, was Wirtz und Musiala so besonders macht. Die bosnische Hintermannschaft darf sich über den schwachen Trost freuen, dass sich in den nächsten Jahren noch ganz andere Kaliber vor der Spielfreude Wusialas verneigen werden müssen.
Chris Führich: In seinem achten Länderspiel stand der Stuttgarter in Budapest erstmals von Beginn an auf dem Platz. Führich, der nach einer überragenden Vorsaison derzeit unter leichten Formproblemen leidet, konnte diese Chance allerdings überhaupt nicht nutzen. Der 26-Jährige strahlte auf dem linken Flügel keinerlei Gefahr aus und musste nach 61 Minuten für Musiala weichen.
Noch hat Führich bei Nagelsmann, der stets die Wichtigkeit einer Stammmannschaft betont und von klarer Rollenverteilung spricht, ein Stein im Brett. Doch hält die Durststrecke des Tempodribblers in den nächsten Monaten weiter an, wird dieser im März kein Teil der deutschen Nationalmannschaft mehr sein. Schlichtweg zu gut sind auch die Alternativen, die schon jetzt mit ihren Hufen scharen.
Julian Brandt: Was für Führich gilt, das gilt im Prinzip auch für Julian Brandt. Der Dortmunder Spielmacher glänzt auf Klub-Ebene aktuell nur selten und konnte bei seinem Startelf-Einsatz gegen Ungarn keine nennenswerten Argumente für seine Person liefern. Nach starker Anfangsphase schlich sich wiederholt der Schlendrian in Brandts Spiel ein, beinahe hätte sein Fehlpass in der 24 Minuten ein Gegentor zur Folge gehabt.
(Photo by David Balogh/Getty Images)
Der 28-Jährige ist zweifelsohne ein herausragender Fußballer und kann an guten Tagen auch für die deutsche Nationalmannschaft eine Bereicherung sein. Zeitgleich ist Brandt aber eines von vielen Gesichtern, die stellvertretend für die DFB-Misere zwischen 2018 und 2023 stehen. Das Aufschwungsjahr 2024 erlebte er fast ausschließlich als Zuschauer, vor dem Ungarn-Spiel stand er zuletzt bei der unrühmlichen 0:2-Pleite in Österreich im November 2023 auf dem Platz. Seine Tage im Nationaldress könnten daher schon bald gezählt sein.
Niclas Füllkrug: Ein unverschuldeter Verlierer dieser Länderspielpause ist auch Niclas Füllkrug. Der Torjäger kommt bei West Ham nach wie vor überhaupt nicht in Fahrt, laboriert noch immer an den Folgen einer Achillessehnenreizung. Zuvor verpasste der 32-Jährige bereits die Oktober-Partien gegen Bosnien-Herzegowina und die Niederlande und droht daher, auch im DFB-Team den Anschluss zu verlieren.
Füllkrug, in den vergangenen zwei Jahren Deutschlands mit Abstand zuverlässigster Stürmer, hat durch Tim Kleindienst einen ernsthaften Konkurrenten im Sturmzentrum bekommen, der ihm anders als Deniz Undav, Kai Havertz, oder Maximilian Beier auch spielerisch ähnelt. „Ich weiß nicht, ob er von unserem Spielertyp zwei oder drei mitnehmen würde“, erklärte Kleindienst zuletzt gegenüber dem kicker und verkündete selbstbewusst: „Wenn die Leistungen im Klub stimmen, habe ich gute Argumente.“ Und die Leistungen stimmten. Sehr zum sportlichen Leidwesen von Füllkrug.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)