90PLUS
·30. Januar 2025
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·30. Januar 2025
Überall auf dem Globus, insbesondere aber auch in Deutschland, befindet sich der Fußball in einem hitzigen Spannungsfeld zwischen Nostalgie und Zukunftsdenken, zwischen gestern und morgen. Globalisierung und Digitalisierung schreiten auch im populärsten Sport der Welt immer weiter voran und bringen neben zahlreichen neuen Möglichkeiten einige Fragezeichen mit sich.
Wir müssen nur zwanzig Jahre in die Vergangenheit zurückreisen, um auf einen Fußball zu treffen, der sich dann doch gravierend vom heutigen unterscheidet. Die sozialen Medien steckten noch in ihren Kinderschuhen, der Fußball war dementsprechend nicht so omnipräsent, wie er es mittlerweile ist. Er war trotzdem nachvollziehbarer und irgendwie greifbarer.
Sämtliche Wettbewerbe, egal ob national oder international, liefen höchstens auf einem, maximal auf zwei Sendern. Wer für den Fußball nicht bezahlen wollte, der hörte sich die Bundesliga-Konferenz im Radio an und fand sich pünktlich um 18.00 Uhr auf dem heimischen Sofa ein, um in der Sportschau die ersten Bewegtbilder der heutigen Partien zu bestaunen.
Gleiches galt für Neuigkeiten rund um den Sport. Transfergerüchte las man in der Zeitung und wenn sich mal ein Spieler oder Verantwortlicher so richtig daneben benommen hatte, bekam man das in den Nachrichten schon irgendwie mit. Der Fußball war keineswegs unbeliebter, dafür aber nicht rund um die Uhr abrufbar und auf allen Kanälen zu verfolgen.
Das sieht im Jahr 2025 gänzlich anders aus. Wenn man denn möchte, kann man sich rund um die Uhr mit Fußball-Inhalten sämtlicher Art beschallen lassen. Gerüchte und die heißen News liest man zuerst auf X, Highlight-Clips sämtlicher Partien kursieren nur Sekunden nach dem Abpfiff bereits im Netz. Kameras verfolgen unsere Idole sowieso auf Schritt und Tripp und wenn sich eine Aufnahme nicht für den Jahresrückblick eignet, so ist sie für ein amüsantes Kurzvideo noch immer gut genug.
Angesichts dieser zu keinem Zeitpunkt abebbenden Informationsflut verwundert es nur wenig, dass die Aufmerksamkeitsspanne jüngerer Zuschauer in Bezug auf singuläre Inhalte abnimmt. So fand die von der WHU Otto Beisheim School of Management durchgeführten „Zukunftsstudie BundesligaKonsum“ heraus, dass die Generation Z, also die Jahrgänge 1995 bis 2020, „signifikant seltener ein Spiel über 90 Minuten ohne Unterbrechung am Stück anschaut als andere Generationen.“ Auch Highlight-Videos bevorzugen Jugendliche in deutlich kürzerer Form. Die ideale Zusammenfassung eines Spiels dauert aus Sicht der Genration Z acht Minuten, während Angehörige der Baby-Boomer-Generation einen 13,5-minütigen Zusammenschnitt präferieren.
. (Photo by Christof Koepsel/Getty Images)
„Durch den ständigen Social-Media-Konsum sinkt unsere Aufmerksamkeitsspanne zweifellos, kurze Inhalte sind momentan einfach in“, sagt auch Fußball-Influencer und Content Creator Jean-Paul Klink. Der bekennende BVB-Fan, der seit Juli 2024 Kurzvideos produziert, ist zweifelsohne ein Experte auf diesem Gebiet. Unter dem Namen „jean.paulkjp“ konnte er in nur wenigen Monaten knapp 13.000 Follower auf Instagram und 13.5000 Follower auf TikTok für sich gewinnen. „In den sozialen Medien findet eine enorm hohe Dopaminausschüttung statt, was uns teilweise nicht einmal bewusst ist.“
So kommt es dann auch zustande, dass junge Zuschauer ein ganzes Spiel nur noch selten über die vollständige Distanz anschauen. Die Interaktion mit anderen Fans wirkt verlockender, als so manche trostlose Ballpassage, deren Resultat nicht einmal im entferntesten eine Torchance ist. Auch die angebotenen Second-Screen-Angebote werden immer vielseitiger und ziehen so die Aufmerksamkeit der Konsumenten auf sich.
Doch auch nach Schlusspfiff läuft das 24/7-Programm Fußball weiter auch Hochtouren. Es muss immer präsent sein, um dem Vergleich mit weiteren digitalen Angeboten standhalten zu können. „Unsere heutigen Wettbewerber sind nicht andere Sportvereine. Es sind ‚League of Legends‘, eSports oder ‚Fortnite’“, stellte Andrea Agnelli, bis November 2022 Präsident von Juventus, schon 2020 fest. Aber sollte sich der beliebteste Sport der Welt tatsächlich in einer Konkurrenz zum Streaming oder zu Computerspielen wähnen?
„Der große Vorteil dieser Formate ist, dass die nicht termingebunden sind“, erläutert Klink und ergänzt, dass Inhalte dieser Art vor allem vom direkten Kontakt zwischen Creator und seinen Zuschauern lebt. Unumstritten hat der Fußball auf diesem Feld noch großen Nachholbedarf – er fängt gerade erst damit an, dass sich bietende Potenzial nur annähernd auszuschöpfen. Als Beispiel kann hier die seit März 2024 bestehende Partnerschaft zwischen dem DFB und TikTok angeführt werden. Im Vorfeld der Heim-Europameisterschaft avancierte das chinesische Unternehmen zum offiziellen Entertainment-Partner der deutschen Nationalmannschaft.
Follower des DFB wurden insbesondere aus dem EM-Quartier rund um die Uhr mit kurzen Clips versorgt, die wahlweise einen Deniz-Undav-Gag oder Joshua Kimmich beim Gärtnern zeigten. Die Videos wurden zu großen Teilen herausragend angenommen und trugen zumindest ihren Teil dazu bei, dass die Nationalmannschaft im letzten Sommer wieder als „nahbarer und sympathischer“ wahrgenommen wurde, wie Klink beschreibt.
Völlig unumstritten war und ist diese Zusammenarbeit nicht, was vor allem an moralischen Bedenken hinsichtlich TikTok als Unternehmen liegt. So ermittelt auch die EU-Kommission seit Anfang 2024 gegen das Videoportal, unter anderem wegen einer möglichen Suchtgefahr sowie fehlenden Jugend- und Datenschutzes. In den USA ist die App einem gänzlichen Verbot sogar nur vorläufig von der Schippe gesprungen.
Und trotzdem: Die Präsenz auf digitalen Plattformen und die Produktion von Kurzvideos, auch wenn nicht notwendigerweise auf TikTok, ist aus Sicht von Klink alternativlos. Die Tatsache, dass in Deutschland 70 Prozent der 16- bis 19-Jährigen einen Tiktok-Account besitzen (Stand 2024), lasse dem DFB keine andere Wahl, wenn dieser endlich wieder ein jüngeres Publikum für sich gewinnen möchte.
In den vergangenen Monaten und Jahren machte der Fußball darüber hinaus weitere Angebote, um im von Agnelli beschriebenen Wettbewerb mit konkurrierenden digitalen Inhalten herauszustechen. Inspiriert von der 2022 von Gerard Pique gegründeten Kings League traten auch in Deutschland Hallen-Fußballigen auf den Plan, die via Twitch übertragen werden und qua ihrer kürzeren Spieldauer und ihres modernen sowie auffallend bunten Erscheinungsbildes ein primär junges Publikum erreichen sollen.
2024 wurde die Baller League von Lukas Podolski und Mats Hummels ins Leben gerufen, die ebenfalls 2024 an den Start gegangene Icon League trieben hingegen maßgeblich Toni Kroos und Streamer Elias Nerlich voran. „Beide Ligen finden extra am Montagabend statt, um dem ‚traditionellen Fußball‘ keine Konkurrenz zu machen“, erläutert Klink und hebt vor allem den wegfallenden Kostenfaktor hervor. „Um sämtliche Abos zu besitzen, muss man als Fan mittlerweile sehr viel Geld bezahlen. Deswegen ist die kostenlose Übertragung solcher Formate gerade für junge Fans interessant.“ Auch die zahlreichen prominenten Namen und Ex-Fußballer würden Schaulustige vor den Bildschirm ziehen, so der Streamer.
Doch auch Konzepte a la Kings League rufen nicht ausschließlich positive Resonanz hervor. Prominentestes Beispiel ist wohl Gladbach-Geschäftsführer Roland Virkus, der seine Spieler Christoph Kramer und Florian Neuhaus für die Teilnahme an der Baller League scharf kritisierte. „Wir haben das gesehen und mit den Jungs gesprochen. Sie sollen sich auf den Fußball in Mönchengladbach konzentrieren“, tönte Virkus im Februar letzten Jahres laut Bild. Auch Verantwortliche von Amateur-Klubs beschwerten sich wiederholt öffentlich darüber, dass Spieler ihr Hauptaugenmerk nicht mehr auf den eigenen Verein, sondern auf die Teilnahme am Kleinfeldfußball legen würden. „Darüber hinaus missfällt vielen auch das Konzept dieser Ligen“, ergänzt Klink, der selbst zugibt, noch nicht restlos von beiden Produkten überzeugt zu sein.
Und an dieser Stelle befinden wir uns an einem ganz entscheidenden Punkt: In vermutlich keinem anderen Sport werden Veränderungen derart kritisch begleitet, wie es vor allem in Deutschland der Fall ist. Einerseits möchte man sich öffnen, andererseits hat man Angst, zu künstlich oder zu unecht zu wirken. Tradition und die Liebe am traditionellen Fußball werden immer wieder hervorgehoben und machen einen wesentlichen Markenkern der deutschen Ligen aus. „Je polarisierender, je emotionaler der Verein ist, zudem ich ein Video mache, desto deutlicher sind auch die anschließenden Reaktionen“, schildert Klink seine eigenen Erfahrungen und gibt an, bereits mit beleidigenden Kommentaren zu tun gehabt zu haben. Laufen wir Gefahr mit dieser Denkweise eine ganze Generation an potenziellen neuen Zuschauern zu verschrecken?
(Photo by Daniel Apuy/Getty Images)
Vor allem da sich junge Fans zunehmend eher aufgrund ihrer Sympathie für einzelne Spieler an Vereine binden. Auch der Fußball ist individueller geworden und hängt in einer digitalen und global vernetzten Welt nicht mehr ausschließlich an lokalen Faktoren oder familiären Vorlieben. Bestes Beispiel sind die Superstars Cristiano Ronaldo und Lionel Messi, die nach ihren Wechseln in die vermeintliche Fußball-Provinz einen brutalen Hype auslösten und ihren Klubs quasi über Nacht einen Millionen-Zuwachs an neuen Online-Followern bescherten. Das Interesse an der saudischen respektive der amerikanischen Liga explodierte förmlich und hatte florierende Merchandise-Einnahmen und neue, kostspielige TV-Verträge zur Folge.
Zweifelsohne gibt es aktuell zwei verschiedene Arten des Fußballs. Den globalen Fußball der Megastars, der von großen Namen, Geld, spektakulären Highlights und weniger von Tradition oder der Verbundenheit zu einem Verein oder einer Region lebt. Viele, vorwiegend junge, Zuschauer wollen in erster Linie hochklassigen und ständig abrufbaren Fußball erleben, der sich stetig weiter entwickelt und auf diesem Weg auch keine Rücksicht auf den einen oder anderen Verlust nimmt.
Und dann gibt es den anderen Fußball. Der Fußball, der von familiär weitergegebenen Emotionen lebt und gar nicht notwendigerweise den Anspruch hegt, im internationalen Konzert der ganz Großen mitzumischen. Wir erleben also einen Kampf zwischen unterschiedlichen Kulturen, eine Auseinandersetzung zweier Idealvorstellungen vom Fußball. „Eine Vereinbarung zwischen Traditionalisten und „neuen“ Fans gestaltet sich in der Tat als äußerst schwierig“, fasst auch Klink zusammen. Beide Seiten buhlen dabei vor allem um die Gunst der jungen Zuschauer. Aber wie werden sich diese entscheiden?
(Photo by Mark Metcalfe/Getty Images)