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Helge Wohltmann·27. Oktober 2024

Messias oder Hochstapler? Warum dieser Trainer viel lieber Mittelmaß wäre

Artikelbild:Messias oder Hochstapler? Warum dieser Trainer viel lieber Mittelmaß wäre

Heißt Florian Kohfeldt in Wirklichkeit Lyle Lanley? In den letzten Jahren konnte man das Gefühl bekommen, er habe Einschienenbahnen an Bremen, Wolfsburg und Eupen verkauft. Genau wie beim Simpsons-Charakter wurden die Stationen des einst über alle Maßen gehypeten Jungtrainers von einem wütenden Mob begleitet, der in ihm einen Hochstapler sieht.

War er nach seinen ersten beiden Jahren bei Werder noch der gefeierte Messias und kommender BVB-Trainer, erfreuten sich Teile der Bundesliga-Fans danach an seinem Abstieg. Mit jedem Rückschlag wurden die Aussagen gehässiger. Rauswurf in Bremen, eine schnelle Entlassung in Wolfsburg und Misserfolg in Eupen. Spätestens jetzt war Kohfeldt nicht mal mehr gut genug für den Job bei einem Abstiegskandidaten in der 2. Bundesliga.


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Ungewöhnlich viel Skepsis herrschte, als der SV Darmstadt ihn als neuen Trainer präsentierte. Unter dem 'X'-Post der Lilien fanden sich zahlreiche negative Kommentare, die ihm nicht mal eine Chance geben wollten.

Die Frage ist, warum gerade bei Kohfeldt so viel Abneigung mitschwingt? "Es gab eine Zeit lang einen persönlichen Hype um mich, der mir selbst unangenehm war. Ich glaube nicht, dass ich mich über Gebühr in die Öffentlichkeit gedrängt habe. Trotzdem entstand eine Fallhöhe, die solide Ergebnisse und Arbeit schon als etwas Negatives dastehen lässt", sagte er selbst im März 2023 gegenüber dem 'kicker'.

Sinnbildlich dafür steht seine Zeit bei Wolfsburg, wo er keinen Fußball vom anderen Stern spielen ließ, aber die nötigen Punkte für den Klassenerhalt holte und die Mannschaft stabilisierte. Weil das einigen VfL-Verantwortlichen nicht genug war, blieb nur hängen, dass er nicht mal eine ganze Saison bleiben durfte. Seine Zeit gilt als Fehlschlag, obwohl auch bei den verschiedenen Nachfolgern sichtbar wurde, wie schwer es ist, diese Mannschaft zu führen.

"Da würde ich mir wünschen, dass man auch Graubereiche sieht und nicht nur schwarz und weiß", sagte Kohfeldt zur 'dpa'. Nach Überhöhung und und Verdammung wäre ein gesundes Mittelmaß mal eine schöne Abwechslung.

Aber ist es wirklich nur der einstige Hype, der dazu führt, dass Leute ihn ständig mit Häme überschütten und beispielsweise in Rage darüber geraten, wenn er im Abstiegskampf lautstark sein Team antreibt?

In seiner Werder-Zeit, als aufgrund der Pandemie keine Fans in den Stadien waren und die Mikrofone an der Seitenlinie aufnahmen, wie der Bremer Coach irgendwie versuchte, Leben in seine komplett verunsicherte Mannschaft zu bekommen, sorgte das auf X regelmäßig für Wutanfälle. Wöchentlich fühlten sich etliche User davon getriggert.

Hinzu kam, dass er ein schlechter Verlierer war, dem man den Frust nach Niederlagen anmerkte und der gerne auch mal die Schuld bei anderen gesucht hatte. Das ist unter Trainern aber ein durchaus weit verbreiterter Charakterzug, der anderen nicht so negativ ausgelegt wird.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Kohfeldt immer den Anspruch hatte, es besser machen zu wollen als seine Kollegen. Als er bei Werder begann, kündigte er an, auch im Abstiegskampf auf attraktiven, offensiven Fußball setzen zu wollen. Bloßes Mauern sei ihm zuwider, betonte er damals.

Wahrscheinlich kam er bei einigen dadurch als Besserwisser rüber. Auch weil er nie in Fußball-Floskeln sprach, sondern versuchte, seine ehrliche Meinung auf Fragen zu äußern. "Mir wird häufig nachgesagt, dass ich zu viel erkläre. Das muss ich hinnehmen", ist sich Kohfeldt dieses Eindrucks bewusst. "Ich versuche, es zu ändern, aber es fällt mir immer noch schwer, auf Fragen nicht zu antworten."

Bei ihm entstand dadurch aber ein Druck, es dann auch wirklich besser machen zu müssen als die anderen. Gelingt das nicht, ist die Schadenfreude groß.

Was dabei oft ignoriert wird: Manchmal passen gewisse Konstellationen einfach nicht. Manchmal machen Trainer natürlich auch Fehler. Misserfolg bei einer Station bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass ein vorher guter Coach auf einmal gar keine Ahnung mehr hat. So galt ein Carlo Ancelotti nach seiner schwierigen Bayern-Zeit hierzulande als arbeitsscheuer Früh-Rentner, dessen beste Zeit vorbei ist, nur um danach zwei Mal die Champions League mit Real zu gewinnen.

Hansi Flick wurde nach der Graugänse-Doku und dem Gruppenaus bei der WM zur Lachnummer, nahm dann aber in dieser Woche den FC Bayern mit Barcelona auseinander.

Auf einem anderen Level könnte das auch bei Kohfeldt gelten. Er übernahm mit Darmstadt einen verunsicherten Klub in Abstiegsgefahr und nach den ersten Spielen sind die Eindrücke positiv. Mit einem Punkteschnitt von 1,6 pro Spiel ging es von Platz 17 auf 13. Dazu haben die Spieler an Selbstvertrauen gewonnen. Gerade offensiv, wo sie 15 Tore in fünf Spielen erzielten.

Grund für einen neuen Hype? Nein. Aber vielleicht für die Erkenntnis, dass Florian Kohfeldts Qualität als Trainer nicht in den Extremen, sondern irgendwo in einem Graubereich einzuordnen ist. Dass er mit 42 Jahren weiterhin ein junger Trainer ist, der einerseits nachgewiesen hat, auf hohem Niveau coachen zu können, der andererseits aber auch gezeigt hat, noch vieles lernen zu müssen.

Er selbst wird der Erste sein, der dem zweiten Punkt zustimmen würde. Denn anders als Lyle Langley bei den Simpsons, ist Kohfeldt kein Blender, der einfach nur die nächste Stadt ausnehmen möchte.