90PLUS
·27. Dezember 2023
90PLUS
·27. Dezember 2023
Spätestens im Sommer 2023 wurde dem kühnsten Fußball-Romantiker offenbart, dass die Saudi Pro League ein Milliardenprojekt konzipiert, um das angekratzte Image – Stichwort: Menschenrechtsverstöße – glattzubügeln. In solchen Fällen sprechen die ExpertInnen von Sportswashing. Doch was hat sich im Wüstenstaat mit den kostspieligen Transfers verändert, wie haben die Protagonisten auf dem grünen Rasen eingeschlagen und welche Zukunftsvisionen werden propagandiert? Eine Analyse.
949.136.777 Euro! Diese astronomische Summe – übrigens in der gleichen Größenordnung wie das Bruttoinlandsprodukt der Karibikinsel St. Vincent und die Grenadinen – investierten die Vereine der Saudi Pro League allein im Sommer 2023 für neues kickendes Personal. Mit werbewirksamen Testimonials soll das Image des Wüstenstaates respektive die Strahlkraft der heimischen Fußball-Liga aufgewertet werden. Der Begriff Sportswashing fällt regelmäßig in der Auseinandersetzung mit der saudi-arabischen Sportpolitik. Vor einigen Jahren wurde die Vision 2030 kommuniziert. Durch die Austragung prestigeträchtiger Sportevents – Formel 1, Golf, Fußball – will die staatliche Seite, um den Machtinhaber Kronprinz Mohammed bin Salman, einen Modernisierungs- beziehungsweise Liberalisierungskurs fahren, um zugleich die eigene Wirtschaft unabhängiger von DEM fossilen Gut des Landes – Öl – zu machen.
Die Klubs der fußballerischen Eliteklasse des Landes werden in einigen Fällen staatlich subventioniert. Beispiel gefällig? Al-Nassr, seines Zeichens Verein des portugiesischen Megastars Cristiano Ronaldo, gehört mehrheitlich dem saudi-arabischen „Public Investment Fund“ (PIF). Welche Auswirkungen hatte das teils irrwitzige Einkaufsverhalten der Saudi Pro League im Sommer 2023 aber im Detail? Selbstredend war das weltweite mediale Echo auf die millionenschwere Transferstrategie immens und DAZN sicherte sich die TV-Übertragungsrechte für den deutschsprachigen Raum. Bis zum heutigen Tag übermittelte das Unternehmen aus Ismaning jedoch keine transparenten Einschaltquoten.
Wie sieht es in den saudi-arabischen Stadien aus? CR7, Benzema, Neymar und Co. sollten sich doch als perfekte Kassenmagneten eignen, oder? Leider lässt sich bis dato das Gegenteil konstatieren. Im Vergleich zur Saison 2022/23 ist der ZuschauerInnenschnitt der Saudi Pro League in der laufenden Spielzeit 2023/24 von durchschnittlich 10.197 auf 8.324 BesucherInnen sogar rückläufig. In puncto sportlicher Bilanz machen sich die horrenden Ausgaben allerdings bemerkbar. Die drei Klubs mit den höchsten Investitionen im Sommer 2023 – Rekordmeister Al-Hilal (18 Titel), Al-Nassr sowie Al-Ahli – belegen als Triumvirat zugleich auch die drei oberen Plätze des Tableaus.
Noch augenscheinlicher werden die Auswirkungen der aggressiven Transferpolitik beim Blick in die abgelaufene Gruppenphase der AFC Champions League, dem asiatischen Pendant zur europäischen Königsklasse. Die vier Teilnehmer der Saudi Pro League konnten allesamt die Vorrunde überstehen und verbuchten in addiert 24 Partien eine beeindruckende Bilanz von 17 Siegen, drei Remis und lediglich vier Niederlagen.
(Photo by Yasser Bakhsh/Getty Images)
Wie schlagen sich die fürstlich entlohnten Top-Stars der Saudi Pro League seit Beginn ihres Engagements? Zunächst dreht sich der Scheinwerfer in Richtung Cristiano Ronaldo. Der fünffache Weltfußballer wurde mit seinem Wechsel ins 35,95-Millionen-Einwohner-Land im Januar 2023 zum symbolträchtigen Vorreiter der Transferoffensive. Bei Al-Nassr agiert CR7 als omnipräsenter Anker im Sturmzentrum und trifft nach Belieben. In den wettbewerbsübergreifend 42 Einsätzen für den Verein aus der Hauptstadt Riad verbuchte der 38-Jährige bisher formidable 35 Treffer und 13 Assist.
Erst im Sommer 2023 wechselte Karim Benzema, nach 14 Jahren im königlichen Trikot von Real Madrid, zum amtierenden Landesmeister Al-Ittihad. Auch die Torquote des französischen Ballon-d’Or-Gewinners von 2022 ist vorzeigbar. Starke 16 Scorerpunkte (12 Treffer/ vier Vorlagen) sind für den 36-Jährigen in 18 Partien seit dessen Ankunft notiert.
Weniger erfolgreich läuft bislang die Liaison zwischen Neymar und Al-Hilal. Als einziger Akteur aus dem erwähnten Trio wurde für den brasilianischen Dribbelkünstler eine Ablöse – kolportierte 90 Millionen Euro – fällig. Nach nur fünf Einsätzen im Trikot des neuen Arbeitgebers riss sich der 128-fache Selecao-Auswahlspieler das Kreuzband im vorderen linken Knie. Seitdem befindet sich der vertraglich bis 2025 gebundene Superstar im Status des Rekonvaleszenten.
Überblick über die bisherigen Leistungsdaten der zehn teuersten Profis, die im Sommer 2023 in die Saudi Pro League gewechselt sind (Stand: 23. Dezember 2023):
(Photo by ATTA KENARE/AFP via Getty Images)
Nachdem der Status quo der Saudi Pro League beleuchtet wurde, stellt sich zuletzt die Frage nach der Zukunftsprognose. Auf rein sportlicher Basis wird die mittlerweile offiziell angekündigte Klub-WM – Erstausgabe 2025 in den USA – für die Vereine aus dem Mittleren Osten zum echten wie lukrativen Prüfstein. Im großen Schaufenster erfolgt dann ein Kräftemessen mit den europäischen Schwergewichten. Bis dahin werden weiterhin namhafte Spieler, zumeist im Herbst der Karriere, den Weg in den Wüstenstaat finden.
Überdies verstehen es die Liga-Funktionäre perfekt, eine medienwirksame Inszenierung zu konzipieren. Beispielsweise wurde für Februar 2024 bereits die Neuauflage des Giganten-Gipfels der beiden leuchtenden Superstars der vergangenen Jahre, Cristiano Ronaldo und Lionel Messi, angekündigt. Messis MLS-Klub Inter Miami gastiert im Rahmen einer globalen Werbetournee in Riad. Apropos Messi… Für die renommierte Profi-Sammlung der Saudi Pro League gilt „La Pulga“ als (Wunsch-)Objekt der Begierde. Michael Emenalo, Fußballdirektor der saudi-arabischen Eliteklasse, hat sich zu diesem Thema zuletzt hoffnungsvoll geäußert:
Wenn Messi immer noch bereit und ehrgeizig ist, Leistung zu bringen, und dies in Saudi-Arabien tun will, werden wir sicher einen Verein für ihn finden, bei dem er sein Können zeigen kann. Wenn er hierherkommen will, ist das eine Möglichkeit, und wir werden hart daran arbeiten, einen Verein für ihn zu finden.
Des Weiteren planen wirtschaftlich potente saudi-arabische Konsortien verstärkt den Anteilserwerb an europäischen Fußballvereinen, wie bereits beim Premier-League-Klub Newcastle United passiert. Als womöglich spektakulärstes wie umstrittenstes Ziel gilt die Ausrichtung der Männer-Weltmeisterschaft 2034. FIFA-Präsident Gianni Infantino hatte den Zuschlag für das Land von der arabischen Halbinsel bereits bestätigt. Über allen Aspekten des Milliardenprojekts im Sport-Business steht die entscheidende Frage, inwiefern dieser Ansatz sich als nachhaltig erweist und auf Akzeptanz sowie Interesse in der Bevölkerung stößt. Mit China hat sich in den vergangenen Jahren ein abschreckendes Exempel offenbart…
(Photo by Yasser Bakhsh/Getty Images)
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