90PLUS
·21. März 2025
Tuchel-Start bei England: Was der neue Trainer verändern muss!

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·21. März 2025
Nach zwei schmerzhaften Niederlagen in EM-Finals (2021 gegen Italien im Elfmeterschießen und 2024 gegen Spanien im Berliner Olympiastadion) sowie zwei Weltmeisterschaften mit Ausscheiden im Halbfinale (2018 gegen Kroatien) und Viertelfinale (2022 gegen Frankreich) ging Gareth Southgates Ära als Trainer der englischen Nationalmannschaft zu Ende. Acht Jahre lang prägte er die „Three Lions“ mit Konstanz und einem neuen Selbstbewusstsein, doch der große Wurf blieb aus. Im Oktober 2024 wurde Thomas Tuchel als sein Nachfolger präsentiert – ein Trainer mit internationalem Renommee und einem Titelkonto, das Southgate nicht vorweisen konnte. Heute, im Spiel gegen Lettland, steht Tuchel erstmals an der Seitenlinie. Die Frage, die ganz England beschäftigt: Was muss er anders machen, damit endlich der Refrain erklingt: „Football is coming home“?
Southgates Kaderpolitik war oft ein Streitpunkt. Spieler wie Jordan Henderson oder Marcus Rashford wurden trotz schwankender Form lange gehalten, was Fans und Experten als mangelnden Mut zu Neuerungen kritisierten. Tuchels erste Nominierung zeigt eine ambivalente Handschrift. Auf der einen Seite bringt er frischen Wind mit jungen Talenten wie Myles Lewis-Skelly von Arsenal und Tino Livramento von Newcastle, die für die Zukunft stehen. Auch Dan Burn, der sich bei Newcastle United durch konstant starke Leistungen in den Fokus spielte, erhält eine verdiente Chance. Doch die Berufungen von Henderson, Rashford und Reece James – Spieler, die teils ihre beste Zeit hinter sich haben oder mit Verletzungen kämpfen – lösten gemischte Reaktionen aus.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)
Trotz dieser Kontroversen sticht ein klares Signal heraus: Tuchel will offensiv spielen. Während Southgate auf eine robuste Defensive setzte, packt Tuchel den Kader mit Angriffsoptionen voll. Eberechi Eze, Cole Palmer, Morgan Rogers, Jarrod Bowen, Phil Foden, Rashford und Anthony Gordon – sieben flexible Offensivkräfte, die hinter Stürmern wie Harry Kane oder Dominic Solanke für Wirbel sorgen können. Selbst Jude Bellingham, der bei Real Madrid als Mittelfeldmaestro glänzt, könnte hier variabel eingesetzt werden. Diese Breite deutet auf einen Paradigmenwechsel hin: Tuchel will Optionen, Kreativität und Tempo.
Southgates taktischer Ansatz war geprägt von Pragmatismus. Sein bevorzugtes 4-2-3-1 oder gelegentliches 3-4-3 setzte auf eine stabile Defensive als Fundament, aus der heraus gefährliche Akzente – oft durch Standards oder Konter – gesetzt wurden. Das brachte Turniererfolge, aber auch Kritik: Der Spielstil war zuweilen einschläfernd, vorhersehbar und ließ kreative Geister verkümmern. Spieler wie Phil Foden, die bei Manchester City brillieren, oder Jude Bellingham, ein Weltstar in Madrid, wirkten in der Nationalmannschaft eingeschränkt, gefangen in einem Korsett aus taktischer Disziplin. Kombinationen im Spielaufbau waren selten, die Offensive lebte von Einzelaktionen oder ruhenden Bällen – ein Ansatz, der gegen Top-Teams wie Frankreich oder Spanien oft an seine Grenzen stieß.
(Photo by HENRY NICHOLLS/AFP via Getty Images)
Tuchel könnte diese Fesseln sprengen. Mit seiner Erfahrung bei Borussia Dortmund, Chelsea und Bayern München bringt er eine moderne, offensive Philosophie mit. Statt auf Sicherheit könnte er ein flexibles 4-3-3 oder 3-4-2-1 etablieren, das höheres Pressing mit schnellem Umschalten kombiniert – ein Markenzeichen aus seiner Champions-League-Saison 2021 mit Chelsea. Declan Rice als alleiniger Sechser, flankiert von Bellingham und einem kreativen Kopf wie Palmer oder Eze, könnte das Mittelfeld dynamischer machen. Tuchel könnte Kurzpassspiel und Vertikalität einführen, um die spielerische Qualität des Kaders voll auszuschöpfen und England unberechenbarer zu gestalten.
Ein Bereich bleibt unverändert stark: Standardsituationen. Southgate machte England bei der WM 2018 zur Kopfballmacht – Tore aus Ecken und Freistößen waren entscheidend. Tuchel kann darauf aufbauen, bringt jedoch seine eigene Note ein. Bei Chelsea perfektionierte er Standards mit variablen Ansätzen: Neben der physischen Präsenz setzte er auf Kurzpasskombinationen und überraschende Läufe. Mit Spielern wie Kane, dessen Kopfballstärke unbestritten ist, könnte Tuchel diese Waffe noch vielseitiger machen und Gegner vor neue Rätsel stellen.
Ein weiterer Schwachpunkt unter Southgate war der träge Umgang mit Ballbesitz, besonders gegen schwächere Gegner. Lange Phasen ohne Tempo oder Bewegung im letzten Drittel machten England leicht ausrechenbar. Tuchel, der Vertikalität und schnelle Pässe nach vorne bevorzugt, könnte das Spiel direkter gestalten. Gegen Teams wie Lettland würde das mehr Torgefahr bedeuten, während es gegen stärkere Gegner die Konterstärke erhöht – ein Bereich, in dem Spieler wie Gordon oder Bowen glänzen könnten.
Tuchel steht vor der Aufgabe, England variabler, mutiger und konsequenter zu machen. Eine klare Spielidee mit Ballbesitz, kombiniert mit Southgates defensivem Erbe, könnte die „Three Lions“ auf die nächste Stufe heben. Southgate hinterließ ein stabiles Fundament und war zweimal nah an einem Titel – Tuchel muss diese Basis nun mit seiner taktischen Raffinesse und Siegermentalität krönen. Der Weg ist geebnet, die Erwartungen sind hoch: Es wird Zeit, dass der Fußball nach Hause kommt.
(Photo by Ryan Pierse/Getty Images)