OneFootball
·29. März 2025
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·29. März 2025
Rund um Länderspielpausen stehen Nationalspieler bei den ganz unterschiedlichen Interessen von Klub und Verband oft ein bisschen zwischen den Stühlen. Bayern-Verteidiger Eric Dier, der seit 2022 kein Länderspiel mehr für England gemacht hat, würde aber sicherlich gern mal wieder zwischen diesen Stühlen stehen. Die Ansprüche des 31-Jährigen sind da sogar noch bescheidener: Er will einfach nur selbst kein Stuhl mehr sein.
Es ist wie mit dem Stuhl im Wohnzimmer, den Sie seit neuneinhalb Jahren haben und den Sie nicht wertschätzen.
Diesen etwas kuriosen, aber doch sehr treffenden Vergleich machte Eric Dier vor gut einem Jahr in einem Interview mit der englischen Zeitung ‘The Times’, als er auf die schwerste Zeit seiner Karriere zurückblickte. Mit der Ankunft des Australiers Ange Postecoglu im Sommer 2023 war der langjährige Abwehrchef der Spurs plötzlich nicht mehr gefragt. In dem halben Jahr, bevor er im Januar 2024 nach München wechselte, stand er nur ein einziges Mal in einem Premier-League-Spiel in der Startelf und bekam abseits davon nur einige wenige Kurzeinsätze.
Der Transfer zum FC Bayern entpuppte sich dann schnell als große Familienfeier, auf der der eigentlich so wenig wertgeschätzte, sonst nur in der Ecke stehende Wohnzimmerstuhl plötzlich gebraucht wurde. Als Minjae Kim wegen des Asiencups wochenlang fehlte, Mathijs de Ligt verletzt ausfiel und die Auftritte von Dayot Upamecano zwischenzeitlich zu einer Aneinanderreihung von Unsicherheiten wurden, hatte der FC Bayern nämlich auf einmal nur noch einen einzigen fitten und gleichzeitig stabilen Innenverteidiger.
📸 Alexander Hassenstein - 2024 Getty Images
Die Notlösung musste tatsächlich sofort in der Not die Lösung sein und war dann sogar deutlich mehr als das. Schon nach den ersten Auftritten hagelte es von allen Seiten Lob. Von der souveränen Zweikampfführung, der Ruhe am Ball, der beeindruckenden Passsicherheit, aber auch der guten Kommunikation Diers schwärmten nicht nur Mitspieler und Mitarbeiter des FC Bayern. Neben dem 100-Millionen-Euro-Engländer Harry Kane war der 3,5-Millionen-Euro-Leihgebühr-Engländer Eric Dier jetzt beinahe schon der wichtigste Bayern-Spieler. Es wurde schnell deutlich: Mit einem Stuhl hat das alles wenig zu tun: Der Mann ist eine absolute Bank.
Dass in einer solchen Heldengeschichte immer noch mal ein Aber kommt, ist allerdings auch klar. Ganz endgültig entkam Dier seinem Sitzmöbeldasein trotz der beeindruckend stabilen Leistungen nämlich nicht. Denn so ist es nunmal mit einem extra Stuhl im Wohnzimmer: Wenn die Party vorbei ist, steht er erstmal wieder in der Ecke. In Diers Fall war die Party zu Ende, als Vincent Kompany seine Arbeit beim deutschen Rekordmeister aufnahm.
Der neue Trainer setzte von Saisonbeginn an auf Kim und Upamecano als Defensivduo, Bayerns Retter der letzten Saison spielte bis auf vereinzelte Kurzeinsätze keine Rolle mehr. Es sah aus, als würde das sich die Entwicklung bei den Spurs wiederholen: Neuer Trainer, neuer Karriereknick. Die Wende kam erst am 16. Spieltag.
📸 INA FASSBENDER - AFP or licensors
Weil Upamecano gelbgesperrt ausfiel, durfte Dier beim 1:0-Sieg gegen Gladbach zum ersten Mal in der neuen Saison über volle 90 Minuten ran. Danach musste der auch in diesem Spiel erneut hochverlässliche Vertreter zwar immer mal wieder auch auf der Bank Platz nehmen, seit Ende Februar ist er aber gewissermaßen gesetzter Stammspieler, weil Upamecano und Kim sich mehrere Wochen hintereinander im Wechsel immer wieder verletzten.
Während die Notlösung nun abwechselnd seine beiden Konkurrenten vertrat, zeichnete sich eins immer klarer ab: Von den Dreien ist er eigentlich sogar der beste. Im Schnitt führt Dier mehr Zweikämpfe als seine Kollegen, begeht dabei weniger Fouls, hat mehr klärende Aktionen und eine bessere Passquote. Nur was die Torgefahr angeht, haben Kim und Upamecano die Nase vorn, bei Innenverteidigern ist das aber sicherlich ein zu vernachlässigender Punkt.
Ob Vincent Kompany dieser Entwicklung Rechnung trägt und Eric Dier endlich den Status eines unangefochtenen Stammspielers gibt, werden wir so schnell allerdings nicht erfahren. Und zwar dank des “Massakers bei Bayern München”.
So titelte die französische L’Equipe zuletzt, als die langfristigen Verletzungen von Dayot Upamecano und Alphonso Davies bekannt wurden. Die beiden Ausfälle haben zur Folge, dass sich die Frage nach Dier-Einsätzen gar nicht stellt. Weil der gerade wieder genesene Hiroki Ito jetzt Davies als Linksverteidiger vertreten muss, sind Kim und Dier die einzig verbleibenden echten Optionen in der Innenverteidigung.
Wenn Dier nun im Saisonendspurt - vor allem in der Champions League - weiter so fehlerfrei abliefert wie in den letzten Wochen, dürfte er irgendwann sogar die Nase vorn haben, wenn Kompany wieder die Wahl hat. In den letzten Tagen mehrten sich nämlich die Gerüchte, dass der eigentlich nur als kurzfristige Aushilfe geholte Routinier über den Sommer hinaus bleiben darf, der FC Bayern bestätigte jüngst sogar laufende Gespräche. Eric Dier könnte es mit seiner unaufgeregten Zuverlässigkeit also bald vom Sitzmöbel in London zur Sesshaftigkeit in München geschafft haben. Es wäre ihm zu wünschen.
📸 Alex Grimm - 2025 Getty Images
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