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Max von Stuckrad-Barre·16. Juli 2022
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Max von Stuckrad-Barre·16. Juli 2022
Von Madrid nach Rostock: Das klingt jetzt im ersten Moment ein bisschen deprimierend. Und im zweiten irgendwie auch noch.
Wer gerade noch ein Traumtor im Santiago Bernabéu macht, dann einen Freistoß aus 25 Metern gegen Inter reinschweißt und jetzt auf einmal im Ostseestadion gegen den 1. FC Heidenheim ran muss, der ist irgendwo hinter Mailand und Madrid falsch abgebogen. Oder?
Um die Geschichte von Hansa Rostocks neuem Spielmacher, Sébastien Thill, als nachvollziehbare Erfolgsgeschichte zu erzählen, braucht es ein bisschen mehr Kontext. Beziehungsweise ein paar Städte mehr. Aber fangen wir doch mit dem Erfolg an.
Am späten Abend des 28. September hat Thill gleich mehrere Gründe, sich wie von Sinnen die Oberbekleidung vom Körper zu reißen und, so formulierte er es später selbst, „wild durch die Gegend“ zu rennen.
Zum einen hatte er gerade seine Mannschaft in der 89. Minute zum Sieg geschossen. Zum anderen gegen Real Madrid. Dazu hatte vor Thill noch nie ein Luxemburger je in der Champions League getroffen. Ach ja und: Schön anzusehen ist das Tor auch noch.
Kurze Zeit später folgte dann gegen Inter Mailand das zweite Tor eines Luxemburgers in der Champions League. Wieder Thill und vor allem wieder: Schönes Tor.
Eins stimmt an dieser Erzählung vom größten Spieler Luxemburgs, der in der Champions League mit Traumtoren begeistert, allerdings so gar nicht: der Vorname.
Denn eigentlich war es Sébastiens kleiner Bruder, dem man die große Zukunft vorausgesagt hatte. Als 16-Jähriger noch beim FC Bayern gehandelt, glaubte man, in Vincent Thill das größte luxemburgische Talent aller Zeiten zu haben.
Doch die große Karriere bleibt bei Vincent bisher aus, vom ukrainischen Klub Vorskla Poltava an den schwedischen Zweitligisten Örebrö SK ausgeliehen, versucht das einstige Supertalent derzeit, die nie richtig in Schwung gekommene Karriere wieder zu beleben.
Der Größte ist währenddessen sein älterer Bruder, bei dem ebendas allerdings kaum abzusehen war. Bis auf ein kurzes Zwischenspiel beim mittlerweile aufgelösten russischen Verein KF Tambow verbrachte Thill die letzten acht Jahre bei seinem luxemburgischen Heimatverein Progrès Niederkorn.
Einem Klub, der in den letzten Jahren zwar immer mal wieder (erfolglos) an der Qualifikation zur Europa League teilnehmen durfte, mit der Champions League aber nie etwas zu tun hatte.
Dass Sébastien Thill überhaupt in der Champions League spielen würde, war so also bis vor knapp einem Jahr wirklich nicht zu erwarten. Thill selbst glaubte trotzdem so fest daran, dass er sich den Traum von der Königsklasse unter die Haut jagen ließ. Auf der Wade Thills träumt der kleine Sébastien vom Henkelpott.
Durch einen Leihwechsel von Niederkorn zum moldauischen Rekordmeister Sheriff Tiraspol rückte der Traum von der Königsklasse im Sommer letzten Jahres dann in greifbare Nähe, da der Meister Moldaus zur Teilnahme an der Champions-League-Qualifikation berechtigt ist.
Über alle sechs K.O.-Spiele blieb Sheriff ungeschlagen, Thill hatte maßgeblichen Anteil daran, machte jedes Spiel über die volle Distanz und führte seinen Klub in die Gruppenphase. Der Rest ist Champions-League-Geschichte.
Vor dem Hintergrund, dass Thill vor einem guten Jahr noch in Luxemburg kickte, ist nicht nur diese Geschichte mindestens ein Märchen, auch der Wechsel in die 2. Bundesliga ist für ihn damit als Schritt nach vorn zu bewerten.
Und Hansa Rostock auf der anderen Seite bekommt mit Sébastien Thill einen Star mit Champions-League-Erfahrung, der nicht nur weiß, wie man wunderschöne Tore schießt, sondern eben auch, wie man Träume wahr macht.
Auf den ersten Blick eine runde Sache. Und auf den zweiten möglicherweise auch.
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