90PLUS
·1. Oktober 2021
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·1. Oktober 2021
Am Nachmittag des 6. Oktobers 2018 ereignete sich im Westfalenstadion ein spannungsreiches Duell zwischen Borussia Dortmund und dem FC Augsburg. Die Partie bot nicht nur zahlreiche Treffer, sondern auch gleich mehrere Geschichten. Wir werfen einen Blick zurück.
Im Sommer stand, wie in den Vorjahren so oft, ein Umbruch bei Borussia Dortmund an. Peter Stöger räumte im Mai seinen Posten als Übergangstrainer. Lucien Favre übernahm und stabilisierte den BVB innerhalb weniger Monate. Die Dortmunder waren zum damaligen Zeitpunkt nach neun Partien unter der Führung des Schweizers noch ungeschlagen und ein 7:0-Heimsieg gegen den 1. FC Nürnberg am vorangegangenen Spieltag untermauerte die Dortmunder Meisterschaftsambitionen. Die Tabellenführung nach sechs Spieltagen war die logische Konsequenz der Siegesserie.
Mit fünf Gegentoren in sechs Partien vermittelten die Schwarz-Gelben in der Defensive einen recht stabilen Eindruck, in der Offensive sorgte Last-Minute-Neuzugang Paco Alcácer für Furore. Der Fitnesszustand des Spaniers ließ regelmäßige Einsätze über die volle Spielzeit allerdings noch nicht zu und so kam es, dass Favre am besagten Nachmittag Maximilian Phillipp im Sturmzentrum beginnen ließ. Auf drei weiteren Positionen gab es im Vergleich zum Sieg gegen die AS Monaco unter der Woche Änderungen: Achraf Hakimi, Julian Weigl und Jacob Bruun-Larsen rückten für Lukasz Piszczek, Thomas Delaney und Marius Wolf in die Startelf.
Der FC Augsburg startete vergleichsweise weniger erfolgreich in die Saison und befand sich zum damaligen Zeitpunkt auf dem 10. Tabellenplatz. Die Platzierung täuschte jedoch etwas. Die einzigen beiden Niederlagen, die Manuel Baum bis zum damaligen Zeitpunkt gegen Werder Bremen und Mainz 05 hinnehmen musste, resultierten aus unglücklichen Umständen. Dass die Fuggerstädter imstande waren vermeintlich stärkere Gegner zu fordern, zeigten sie zwei Wochen zuvor mit einem Punktgewinn gegen den FC Bayern.
Ähnlich wie beim BVB gab es bei den Augsburgern einen Mittelstürmer, der jüngst für Aufsehen sorgte. Alfred Finnbogason meldete sich am vergangenen Spieltag mit einem Dreierpack gegen den SC Freiburg nach einer Patellasehnenentzündung mustergültig zurück. Die Hoffnungen der Augsburger ruhten auch am 7. Spieltag auf den Schultern des robusten Isländers.
Die Rollenverteilung vor der Partie war dennoch klar: Der BVB war Tabellenführer und Favorit, der FC Augsburg aus dem Tabellenmittelfeld befand sich in der Underdog-Rolle. Abgeschrieben wurden die Gäste vor der Partie jedoch von niemandem, denn Manuel Baum bewies in der Vergangenheit oft genug, dass die Fuggerstädter ein äußerst unangenehmer Gegner sein können.
BVB: Bürki – Hakimi, Akanji, Zagadou, Diallo – Weigl (77. M. Götze), Witsel – Sancho, Reus, Bruun-Larsen (69. Guerreiro) – Philipp (59. Alcácer)
Bank: Hitz, Piszczek, Delaney, Dahoud
Trainer: Lucien Favre
FCA: Luthe – Framberger, Gouweleeuw, Hinteregger, Max – Baier (64. F. Götze), Khedira – Hahn (75. Morávek), Caiuby – Gregoritsch, Finnbogason (83. Cordóva)
Bank: Giefer, Danso, Schmid, Jensen
Trainer: Manuel Baum
Tore: 0:1 Finnbogason (22.), 1:1 Alcácer (62.), 1:2 Max (71.), 2:2 Alcácer (80.), 3:2 M. Götze (84.), 3:3 Gregoritsch (87.), 4:3 Alcácer (90.+6)
Die Augsburger präsentierten sich von Beginn an giftig und starteten mit aggressivem Angriffspressing in die Partie ohne die eigene Kompaktheit in der Defensive zu verlieren. Die Gäste fügten sich der Underdog-Rolle also keineswegs. Der BVB hingegen begann abwartend, was auch darauf zurückzuführen war, dass die Favre-Elf in den vergangenen 20 Tagen sechs Partien bestritt. In den Anfangsminuten blieb das Heimteam ohne Torschuss, während die Gäste sich mehrere Halbchancen und Eckbälle erarbeiteten.
Das änderte sich in der 15. Spielminute. Nach einem Ballgewinn in der Augsburger Hälfte spielte Marco Reus dem auf dem Flügel positionierten Jadon Sancho den Ball in den Lauf. Am Strafraumrand setzte sich der Engländer mit Leichtigkeit gegen Martin Hinteregger durch und legte den Ball auf den BVB-Kapitän zurück, der den Ball aus acht Metern über das Tor schoss.
Einschüchtern ließen sich die Augsburger von den temporeichen Offensivansätzen, die in den ersten Monaten unter Favre häufig zum Erfolg führten, nicht. Ganz im Gegenteil: In der 22. Minute gingen die Augsburger nach einem Freistoß von Philipp Max aus dem Halbfeld in Führung. Der BVB-Defensive gelang es nicht, die Hereingabe zu kontrollieren – Finnbogason profitierte und traf aus wenigen Metern zur Führung.
Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit erhöhte der Gastgeber das Tempo und kam zu zwei Gelegenheiten, die von der Augsburger Defensive im Kollektiv verteidigt wurden. Als der Halbzeitpfiff ertönte, konnte man in den Gesichtern der Dortmunder Profis Unzufriedenheit wahrnehmen. Es schien, als hätten die intensiven letzten Wochen Spuren hinterlassen. Die Gäste hingegen wirkten in allen Spielphasen konzentriert und die mannorientierte Defensivstrategie schien Früchte zu tragen.
Beide Teams begannen die zweite Halbzeit ohne personelle Veränderungen und mit klar definierten Zielsetzungen. Der Anspruch der Favre-Elf war es, das Spiel zu drehen und die Tabellenführung zu verteidigen. Die Augsburger hingegen würden sich mit einem Punktverlust in Dortmund mittlerweile nicht mehr zufriedengeben und steigerten die ohnehin schon hohe Aggressivität im Spiel gegen den Ball.
Zwingend war der BVB im Offensivdrittel in der zweiten Halbzeit noch immer nicht, was Favre in der 59. Minute dazu veranlasste Paco Alcácer für den blass gebliebenen Philipp zu bringen. Der Spanier stellte seine Jokerqualitäten bereits in den letzten zwei Bundesliga-Einsätzen unter Beweis, in denen er nach Einwechslungen drei Tore erzielte. Es dauerte nur wenige Minuten bis der Wechsel Wirkung zeigte. Axel Witsel spielte aus dem Zentrum einen Steilpass auf Sancho, der sich auf dem Flügel befand. Es folgte eine flache Hereingabe, die Alcácer mühelos zum Ausgleich verwertete.
In der 64. Minute reagierte Manuel Baum erstmals und wechselte Felix Götze für den gelbvorbelasteten Daniel Baier ein. Einen Platzverweis konnten sich die Augsburger, die kurz davor waren, die Grenze von 20 Fouls zu überschreiten, nicht leisten.
Nicht nur im Spiel gegen den Ball waren die Gäste unnachgiebig. In der 71. Minute blockte Achraf Hakimi einen gefährlichen Abschluss von Caiuby, im Gegenzug vergab der sonst so effiziente Alcácer die Chance auf den Führungstreffer für die Hausherren.
Der nächste Angriff der Gäste folgte nur eine Minute später. Finnbogason schlug aus dem Halbfeld einen Flankenball und fand den freistehenden André Hahn. Der Flügelspieler traf den Ball nicht ideal, doch lieferte eine zwar ungewollte und doch perfekte Vorarbeit für Max, der aus drei Metern Torentfernung die Führung für die Gäste wiederherstellte.
In der 77. Minute reagierte Favre erneut und brachte Mario Götze für Weigl in die Partie. Es waren die ersten Minuten für Dortmunds Nummer 10 in der Saison 2018/19. Die ersten drei Bundesliga-Spiele verbrachte der WM-Held von 2014 auf der Bank, die nachfolgenden drei verpasste er krankheitsbedingt. Dass das Verhältnis zwischen dem Schweizer und Götze nicht das beste sei, war bereits in der Boulevardpresse zu lesen. Bereits unter Tuchel, Bosz und Stöger konnte der Mittelfeldspieler nicht vollends überzeugen, umso ungeduldiger wurden die Fans, die den Rückkehrer im Sommer 2016 mit hohen Erwartungen empfingen.
(Photo by Jörg Schüler/Getty Images)
Der technisch begabte Offensivspieler stand vor einem weiteren Wendepunkt seiner Karriere. Wenn nicht rasch Besserung folgen sollte, wäre ein zeitnaher Abschied nicht weniger als die logische Konsequenz gewesen.
In der 80. Minute überraschte der ebenfalls eingewechselte Raphael Guerreiro die Augsburger Abwehrkette mit einem schnell ausgeführten Freist0ß. Der Portugiese erkannte, dass diese noch nicht ideal formiert war und chippte den Ball in den Strafraum. Alcácer handelte ähnlich gedankenschnell, verarbeitete den Ball perfekt und ließ Luthe mit einem wuchtigen Abschluss keine Chance – 2:2! Der Spielstand war erneut ausgeglichen. Für die die Dortmunder war ein Punktgewinn noch immer nicht genug.
Folglich nahmen die Gastgeber, die in der zweiten Halbzeit auf die Südtribüne spielten, den Fuß nicht vom Gas. Hakimi trieb das Spiel über die rechte Seite an und fand Götze mit einem flachen Zuspiel im Sechzehnmeterraum. Der WM-Held von 2014 legte einen Zwischenschritt ein, schloss zügig ab und brachte den BVB erstmals in Führung – 3:2!
Götze drehte zum Jubeln ab und die Stimmung im Westfalenstadion erreichte einen neuen Tageshöhepunkt. Die in der ersten Halbzeit noch so enge Partie wandelte sich zum offenen Schlagabtausch.
Die Freude der BVB-Fans währte jedoch nicht lange. In der 87. Minute ließ Abdou Diallo dem großgewachsenen Michael Gregoritsch nach einem Eckball zu viel Platz. Die Folge: Der Österreicher köpfte den Ball ohne große Mühe zum 3:3 ein. Nun brach im Gästeblock, in dem vor wenigen Minuten noch absolute Stille herrschte, leidenschaftlicher Jubel aus.
In den Schlussminuten drängten die Dortmunder auf die Führung. Erst parierte Andreas Luthe einen Schuss von Guerreiro, im direkten Anschluss verfehlte Witsel das Tor knapp. Die Augsburger formierten sich seit dem Ausgleichstreffer in einem kompakten Block vor dem eigenen Strafraum.
Der BVB gab sich nicht mit dem Unentschieden zufrieden. Erneut initiierte Hakimi einen Angriff und wurde nicht unweit vom Sechzehnmeterraum der Augsburger von Sergio Córdova durch ein Foul gestoppt. Der fällige Freistoß sollte die letzte Aktion der Partie sein. Die ursprünglich vierminütige Nachspielzeit war schon abgelaufen. Erst bereitete Guerreiro sich auf Ausführung des Freistoßes vor, wenig später kam Alcácer hinzu. Es war allen Beteiligten klar, dass dem Ex-Barca-Profi erneut die Chance gegeben werden sollte, sein Momentum zu nutzen. Die Torentfernung betrug etwa 30 Meter.
Alcácer lief an – und traf zum 4:3! Der Spanier schlenzte den Ball über die Mauer recht zentral auf das Tor, aber Luthe verspekulierte sich mit einem Schritt nach rechts. Im Westfalenstadion brachen nun alle Dämme. Es war sein sechster Treffer in lediglich 81 Minuten (!) Spielzeit in Schwarz-Gelb – gleichbedeutend mit einem Tor alle 14 Minuten. Es war der Schlusspunkt einer Partie, die besonders in der zweiten Halbzeit großartige Unterhaltung bot.
Nach sieben Spieltagen standen die Dortmunder mit 17 Punkten an der Tabellenspitze. Die Tatsache, dass der FC Bayern am Abend des 06. Oktober 2018 mit 0:3 in Gladbach verlor, beflügelte die Titelhoffnungen der BVB-Fans zum damaligen Zeitpunkt. Auf Augsburger-Seite herrschte verständlicherweise Tristesse. Die Mannschaft von Manuel Baum verlor ein Spiel, das eigentlich keinen Verlierer verdiente.
(Photo by Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)