MillernTon
·9 January 2025
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·9 January 2025
Die Genossenschaft des FC St. Pauli zog gestern eine Zwischenbilanz. Etappenziele werden erreicht, für den ganz großen Wurf braucht es allerdings noch ein bisschen. Titelfoto: FC St. Pauli
Seit dem 10. November 2024 konnte man Genossenschaftsanteile für die „Football Cooperative St. Pauli von 2024 eg“ (kurz: FCSP eG) zeichnen. Die Anfangseuphorie war immens, quasi sofort waren zehn Millionen Euro erreicht. Nach wenigen Tagen waren es 13 Millionen Euro. Dann war die Euphorie abgearbeitet und es begann der etwas zähere Teil der Sammlung.Aktuell steht man bei knapp 14.600 Genoss*innen und knapp 18,4 Millionen Euro. Zumindest, wenn man von den 850€ pro Anteil ausgeht, wo allerdings noch etwa 32€ Verwaltungsgebühren inkludiert sind.
Laut Andreas Borcherding, Vorstand der eG, laufen auch heute noch jeden Tag etwa 100.000€ ein. Setzt sich dies so fort, hat man gegen Ende Januar bereits jene Summe zusammen (etwa 20 Mio €), die man für das ausgerufene Etappenziel, eine Mehrheitsbeteiligung an der Millerntor Stadion Betriebsgesellschaft (MSB) wohl in etwa benötigt.Um die auch gestern in der Pressekonferenz erneut als Ziel bestätigten 30 Millionen Euro zu erreichen, oder diesem Ziel zumindest nochmals deutlich näher zu kommen, ist aber noch Geduld und Überzeugungsarbeit notwendig.
War der hohe Betrag also ein Fehler? Aus meiner Sicht nicht, denn Ziele müssen zwar realistisch, aber sicher gerade in so einem Fall auch ambitioniert sein.
Gast bei der Pressekonferenz war auch Fabian Grebert von Geno Digital. Er lobte die FCSP eG als die Genossenschaft, die „seit Gründung der BRD“ am schnellsten in so kurzer Zeit so viele Personen beteiligt und auch so viel Kapital eingesammelt hätte. Darüberhinaus verkündete er die Vorteile des Bürokratieentlastungsgesetzes IV – die Details erspare ich Euch. Kurzform: Es wird digitaler.
Aber ein konkretes Beispiel: Die Zeichnung über die Website der FCSP eG war aufgrund der rechtlichen Vorgaben schon kompliziert genug. Dass nach Online-Ident-Verfahren dann aber auch noch ein Zettel ausgedruckt, unterschrieben und per Post versendet werden musste, „war ja eher so 1980“, wie Miriam Wolframm (Vorstand der eG) korrekt feststellte.
Diese bürokratischen Hürden wurden nun geringer. Seit 01. Januar 2025 gilt das neue Gesetz. Ab Mitte Januar soll es dann auch auf fcspeg.com möglich sein, auf komplett digitalem Wege Genoss*in zu werden. Auch hiervon verspricht man sich noch den oder die ein oder andere neue*n Genoss*in. Ob diese Bürokratiehürde wirklich hoch genug war, um Menschen bisher vom Zeichnen abzuhalten, wird sich zeigen.
Auch, wenn die avisierte Zahl von etwa 24.000 Genoss*innen noch nicht erreicht ist, sorgte eben erwähnte Bürokratie doch für einen enormen Aufwand. Dieser wurde von der eG im Ehrenamt bewältigt, sowohl vom Vorstand als auch im Support. Laut Wolframm und Borcherding befindet man sich aktuell etwa drei bis vier Wochen hinter dem eigentlichen Zeitplan. Insbesondere auch, was die Ansprache weiterer Zielgruppen anbelangt.Um diesem Rechnung zu tragen und außerdem die Vorteile der Digitalisierung bzw. des Bürokratieabbaugesetzes zu nutzen, wurde die Zeichnungsfrist von Ende Januar auf Ende März verlängert.Werbemaßnahmen werden nun verstärkt auf Social Media (insbesondere Instagram) ausgespielt, flankiert durch Maßnahmen wie Gewinnspiele.
Ende März soll die Zeichnungsphase dann aber endgültig schließen. Im weiteren Verlauf wäre zwar eine spätere, erneute Öffnung für neue Genoss*innen möglich. Diese wäre dann aber für (noch zu definierende) neue Projekte und nicht mehr für die jetzt angestrebte Mehrheitsbeteiligung am Stadion.
Zumindest Stand jetzt kann man die Genossenschaft sehr klar als Stadtteilprojekt bezeichnen. Im PLZ-Bereich 20359 sowie den angrenzenden Stadtteilen gibt es die absolute Konzentration an Genoss*innen.Dies nimmt man zwar wohlwollend zur Kenntnis, um festzuhalten, wie sehr der FC St. Pauli eben auch im Stadtteil verwurzelt ist. Gleichzeitig ist es aber auch ein Ansporn, die vielen Fans und Sympathisant*innen außerhalb des Stadtteils oder auch der Stadt Hamburg anzusprechen und in die Genossenschaft zu holen. Die Deutschlandkarte zeigt, dass insbesondere in Süd- und Ostdeutschland noch viele Gebiete nicht mit Genoss*innen erschlossen wurden. Hier sieht der Vorstand noch Potential.
Überzahl der Postleitzahlen der Mitglieder der FC St. Pauli Genossenschaft. // (c) FCSP eG
Auch das Ansparmodell ist aus Sicht des Vorstands ein Erfolg. Hierbei kann die Gesamtsumme bis zum Ende des Kalenderjahres 2025 angespart werden. Bisher haben etwa 1600 Personen diese Möglichkeit gewählt, von denen einige nun schon frühzeitig die gesamte Summe aufgebracht haben.
Es gibt weitere Aktionen. Am Freitag hat Oke Göttlich beispielsweise einen Termin mit dem Profiteam. Die Spieler sollen (so sie nicht eh schon Genossen sind) detailliert über die Genossenschaft informiert werden und im Idealfall dieser dann auch gleich beitreten. Dies mag ein netter und werbewirksamer Termin sein, der seine Wirkung nicht verfehlen wird. Auf dem direkten Weg zu 30 Millionen Euro wird er aber wohl nur bedingt helfen.
Durchaus effektiver könnte da der Einstieg von Partnern sein, wie er gestern mit der Techniker Krankenkasse (TK) verkündet wurde. Die „längeren Entscheidungswege“ bei Unternehmen habe man unterschätzt, so Borcherding. Durchaus möglich aber, dass dem Beispiel der TK nun auch weitere Unternehmen folgen werden. Unabhängig davon, mit welcher Summe sie einsteigen, bleibt es trotzdem bei nur einer Stimme, wie Wolframm betonte.
Leider nicht beitreten können hingegen Fanclubs und andere ideelle Zusammenschlüsse. Zumindest, solange diese keine juristische Person (beispielsweise ein e. V.) sind. Ein möglicher Umweg wäre, dass der Fanclub eine Einzelperson auswählt, die stellvertretend für den Fanclub Genoss*in wird. Rein rechtlich wäre sie aber dann eben auch Mitglied als Einzelperson, logisch.
Abschließend ein persönlicher Einschub: Die Euphorie war groß zu Beginn. Dies belegen ja auch die eben erwähnten Zahlen. Ruckzuck waren etwa 13 Millionen Euro eingenommen oder zumindest als Wert auf der Website angegeben. Dass dies nicht immer dem tatsächlich bereits geflossenen Geld entsprach, sondern gerade zu Beginn auch Anteile im Warenkorb enthielt, die später gar nicht eingelöst wurden, trug zur schnellen Entwicklung bei und ließ vielleicht auch zu schnell große Erwartungen entstehen, die später für leichte Ernüchterung sorgten, als die Entwicklung sich nicht in gleichem Maße fortsetzte oder (aufgrund der notwendigen Korrekturen, teils auch technisch bedingt) an manchen Tagen sogar rückläufig erschien. Auch ich äußerte in jener Phase mal zu optimistisch, dass ich die 30 Millionen Euro schon im Dezember erwarten würde. Tja, falsch gelegen.
Im Verlauf der Kampagne gab es aber auch Momente, in denen die Werbekampagne für St. Pauli-Fans „herausfordernd“ wurde, zumindest für mich. Der Appell von Oke Göttlich an die Fans des FC Bayern München im Gästeblock war so einer. Für den Erhalt von 50+1 sollten doch auch sie Anteile zeichnen. Okay, war vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber eben doch so ein bisschen. Wie realistisch ist es, dass Ihr Euch von einer solchen Ansprache in einem beliebigen Gästeblock dieses Landes überzeugen und zur Investition von immerhin 850€ bewegen lasst?
Auch der Aufruf von Wilken Engelbracht auf der Mitgliederversammlung erzeugte bei mir etwas Unwohlsein. Ein sinngemäßes „Ich hab hier noch Anträge dabei, also kommt her und zeichnet!“ mag amüsant rüberkommen und wirklich in der besten Absicht formuliert gewesen sein. Es verkennt aber, dass wir hier über ein Investitionsvolumen sprechen, welches für die meisten Menschen eben immer noch eine sehr relevante Größenordnung darstellt.Für mein Empfinden fehlte da an der ein oder anderen Stelle im Verein das Gefühl für die Wirkung dieser „Jetzt muss aber wirklich jede*r mitmachen!“-Aufrufe, die zumindest unterschwellig auch immer die Botschaft sendeten: „Los jetzt, stellt Euch nicht so an. Alles für den Club!“ Dies wird nicht so beabsichtigt gewesen sein, auch klar, kam aber nicht nur bei mir so an. Wenn ein Verein wie der FC St. Pauli sich immer gerne seiner sozialen Verantwortung rühmt, so greift hier auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den „Kunden“, gerade bei Leitenden Personen. Was ich damit konkret meine, lässt sich wohl am ehesten über den Begriff FOMO-Effekt erklären. Aber klar, niemand wurde zur Investition gezwungen.
Ich mag da bei beiden (beispielhaft gewählten) Ansprachen nicht Zielgruppe gewesen sein und hatte meinen Anteil da auch schon lange erworben. Wahrscheinlich wird es auch niemanden abgeschreckt haben, der/die eigentlich Genoss*in hätte werden wollen. Umgekehrt hat es aber eben vielleicht doch noch einzelne bewegt, diesen Schritt zu gehen. Und jeder einzelne Anteil hilft.Insofern: Die Werbetrommel musste gerührt werden – und das wurde sie. Dies muss mir persönlich im Einzelfall nicht gefallen, kann ich zudem inhaltlich auch von der Idee der Genossenschaft als solcher sehr gut trennen. Es sollte hier aber zumindest einmal kurz Erwähnung finden, da dies doch in letzter Zeit zumindest in meinem Umfeld ein sehr präsentes Thema war.
So oder so: Die Idee der Genossenschaft halte ich weiterhin für sehr gut und absolut hilfreich für den Verein. Ob es am Ende 15, 20, 25 oder 30 Millionen sind, mag für die konkrete Umsetzung der Ziele relevant sein – ein Erfolg ist diese Summe aber in jedem Fall. Der Mut und der lange Atem, dieses seit Jahren laufende Projekt endlich in die Realität zu überführen, wurde belohnt. Ebenso habe ich ein großes Vertrauen in die handelnden Personen der Genossenschaft, dass diese (in Zusammenarbeit mit den Gremien des Vereins) hier die bestmöglichen Entscheidungen für die Zukunft unseres gemeinsamen Vereins treffen werden.Persönlicher Einschub – Ende.
Forza St. Pauli!// Maik
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