
Rund um den Brustring
·26 avril 2025
Dann halt nicht

Rund um den Brustring
·26 avril 2025
Mit dem enttäuschenden 0:1 gegen Heidenheim, der sechsten Heimpleite in Folge, verspielt der VfB so gut wie endgültig die Chance auf eine Platzierung in den Europapokalrängen. Erneut kann sich die Mannschaft nicht gegen einen gut organisierten Außenseiter durchsetzen. Eine Schwäche, die Sebastian Hoeneß bis zum Pokalfinale in den Griff bekommen und kommende Saison grundsätzlich angehen muss.
Wenn es für den eigenen Verein nur in sehr unwahrscheinlichen Rechenmodellen um etwas geht, kann so ein Bundesliga-Samstag eigentlich ganz interessant sein: Nach Heidenheim punktet auch Kiel überraschend im Keller, Dortmund gewinnt erst in letzter Minute gegen ein seit Wochen vor sich hindümpelndes Hoffenheim, Frankfurt macht mit Leipzig kurzen Prozess und Freiburg springt plötzlich auf einen Champions League-Rang. Den VfB betrifft das alles nicht mehr: Den Klassenerhalt machte man mit dem 4:0 in Bochum klar und Platz 6 ist sieben Punkte weg bei neun noch zu vergebenden Zählern. Wobei man sich nach den letzten Wochen und dem Spiel am Freitagabend die Frage stellen muss, wie der VfB auf diese Punktzahl kommen würde.
Von einem “Stich ins VfB-Herz” sprach man in Bad Cannstatt nach der Partie in melodramatischen Tönen. Und natürlich ist es mal wieder “bitter” (ich hatte gehofft, dieses Wort sei aus dem Wortschatz der PR-Abteilung endlich gestrichen), wie der VfB seine historische Negativserie von verlorenen Heimspielen weiter ausbaute: Heidenheim schnupperte ein paar Mal Richtung VfB-Tor, am gefährlichsten wurde es, als Chabot einen Kopfball des völlig freistehenden Mainka nach einer Ecke — natürlich — an die eigene Latte lenkte, und traf dann kurz vor Schluss mit dem zweiten Torschuss des Abends zum Sieg. Groß war das Lamento im Anschluss angesichts eigener vergebener Chancen und so richtig erklären kann ich mir die bis dato schlechteste Rückrunde mindestens der letzten zehn Jahre auch nicht.
Dass der VfB sich aber endgültig von der Vorstellung verabschieden musste, in dieser Saison zum Spitzenfeld der Liga zu gehören, hatte ganz handfeste Gründe, die sich auch schon durch die vergangenen Wochen ziehen. Denn Heidenheim machte, was Außenseiter in solchen Situationen zu tun pflegen: Sie machten hinten dicht und warteten geduldig auf so Schludrigkeiten wie Bruun Larsens gedankenlosen Hackenpass am eigenen Strafraum und nutzen es dann aus, dass der gegnerische Kapitän beim Anscheißen seiner Kollegen energischer zu Werke geht als beim Verteidigen eines Schusses aus 16 Metern. Den Brustringträgern wiederum fiel dazu außer langen Bällen nicht wirklich viel ein.
Natürlich hatten wir unsere Großchancen, denen es sich hinterher zu trauern lohnt. Deniz Undav bestätigte seine aufsteigende Form dahingehend, dass er seinen Sturmkollegen Ermedin Demirovic zwei Mal glänzend in Szene setzte. Leider scheint Medo sein Pulver in Bochum erstmal wieder verschossen zu haben. Erst übersah er den herausstürzenden Kevin Müller und dann ließ er sich den Ball vom Fuß spitzeln. Achja, und dann war da noch Nick Woltemade, der nach 50 Minuten reinkam, sich durch den Heidenheimer Strafraum tankte und den Ball an die Latte setzte. Zwei Geistesblitze und eine Einzelaktion, das war die Ernte der Stuttgarter Offensivbemühungen am Freitagabend. Nicht dazu zählen kann ich zwei Billardtorschüsse, einen Kopfball an den Außenpfosten und die erneut zahlreich versandeten Ecken und Freistöße, mit Ausnahme von Fabian Rieders sehenswertem Schuss.
Natürlich ist es eine Herausforderung, gegen tiefstehende Mannschaften eine Lücke zu finden. Aber das ist genau die Herausforderung, vor der wir im Pokalfinale stehen werden. Was uns dort ebenfalls bevorsteht: Chancen des Gegners durch Standards und durch Konter — also genau das, was uns in Köpenick und gegen Bremen Probleme bereitet hat. Gegen Heidenheim kam hinzu, dass es niemandem gelang, das Offensivspiel des VfB in sinnvolle Bahnen zu lenken. Stattdessen flogen massenhaft hohe Bälle über die Köpfe unserer Strafraumstürmer, während der einzige Wandspieler im Kader auf der Bank saß. Bälle auf die Flügel waren meist zu ungenau und wenn sie ihr Ziel doch erreichten, standen da ein kriselnder Chris Führich ein Fabian Rieder, der eigentlich vor seiner Zeit beim VfB zentraler Mittelfeldspieler war.
Sicher: Hätte der VfB den Gästen von der Alb irgendwie einen reingemurmelt, wären diese wohl nicht zurückgekommen und wir hätten zumindest eine theoretische Chance auf Platz 6 behalten. Über einen zweifachen Punktverlust hätte man sich angesichts der offensiven Einfallslosigkeit aber nicht beschweren dürfen, dass man am Ende alle drei Punkte abgeben musste, ist die Strafe dafür, dass man offensichtlich unterschätzte, dass es für die Heidenheimer bis zum Abpfiff um etwas ging. Wie in Berlin, wie gegen Bremen, wie in Frankfurt, wie gegen Leverkusen, wie in Kiel, wie gegen die Bayern und wie so häufig in dieser Rückrunde ging die Mannschaft nicht an ihr Limit, bekam man das Gefühl, dass das Pokalfinale und die damit verbundene scheinbar sichere Europapokalteilnahme nicht aus den Köpfen zu bekommen ist.
“Dann halt nicht”, war den Eindruck, den man in den letzten Wochen gewinnen konnte. Was fatal wäre, denn bei den derzeitigen Defiziten nivellieren sich Klassenunterschiede in einem Finalspiel ganz schnell. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die Mannschaft wie im Halbfinale die Kurve kriegt und ihre ganze Qualität auf den Platz bringen kann. Dass ihr das aber nicht im Tagesgeschäft Bundesliga gelingt, wird mehr und mehr zum strukturellen Problem. Nicht dass es deswegen in der kommenden Saison gleich wieder gegen den Abstieg ginge. Aber was der Mannschaft mit den Abgängen von Anton und Guirassy verloren ging, waren nicht nur 28 Tore und ein kompromissloser Verteidiger, sondern vor allem Stabilität. Niemand in der Mannschaft konnte verhindern, dass man eine Führung nach der anderen verspielte, niemand den Absturz von Platz 4 nach dem 4:0 gegen Freiburg zum Rückrundenauftakt auf Platz 11 oder tiefer stoppen.
Die vergebene Chance, gegen eine der derzeit besten Mannschaften Europas in der Champions League weiter zu kommen, schien die Mannschaft wochenlang zu beschäftigen, so als sei eine Klatsche gegen Paris und das Ausscheiden nach der Gruppenphase für den VfB ein Ding der Unmöglichkeit. Die verspielten Führungen, das Stolpern über die eigenen Unzulänglichkeiten, der absurde Negativlauf — das alles erinnert fatal an die Zeit vor Sebastian Hoeneß, als viele Spieler in ihrer Entwicklung noch nicht so weit waren und als Kollektiv der Überforderten zwei Mal knapp am Abstieg vorbei schrammten. Dass die Symbiose aus Stabilität und Weiterentwicklung nicht noch einmal so gelingen wird wie in der Vizemeister-Saison, ist klar. Dennoch muss Fabian Wohlgemuth im Sommer dringend in der Kaderstruktur nachsteuern. Nicht nur was neuralgische Positionen wie die Sechs oder die rechte Außenbahn angeht, sondern vor allem im Bereich der Widerstandsfähigkeit.
Das Problem ist nicht Platz 11, 12 oder 13, auf dem wir in den kommenden, sportlich bedeutungslosen Spielen einlaufen werden. Es ist — Pokalsieg hin oder her — der brutale Absturz mit nur drei Siegen und drei Unentschieden aus 14 Rückrundenspielen, es ist die Vergeudung des Potenzials und der Investitionen zumindest in dieser Saison, wegen der die sportliche Führung die Antennen schon seit Wochen scharf stellen sollte. Diese Mannschaft hat sportlich genügend Substanz um nicht wieder in die Abwärtsspirale der Zehnerjahre zu geraten. Aber um die Chancen zu nutzen, die die jüngste Entwicklung ermöglicht hat, müssen diese Substanz und dieses Potenzial in eine stabile Spielstruktur gelenkt werden.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass analysiert: “Aber der Blick sollte weiter gehen: Nicht das einzelne Spiel ist das Problem. Problem ist, dass sich diese Spiele wiederholen, ohne dass sich etwas ändert.” Stuttgart.international blickt ebenso voraus: “Aus dem Überraschungsteam, das fußballerisch Maßstäbe setzte, ist eine instabile Truppe mit Hang zu Ungeschicklichkeiten geworden. Aus den Fehlern dieser Saison müssen Spieler, Trainer und Verantwortliche ihre Lehren ziehen.”
Titelbild: © Christian Kaspar-Bartke/Getty Images