Miasanrot
·3 octobre 2024
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·3 octobre 2024
Bei Aston Villa kassiert der FC Bayern München die erste Niederlage der Saison. Welchen Matchplan beide Teams hatten und was dem FCB auf höchstem Niveau noch fehlt. Eine Taktikanalyse.
Dem FC Bayern München war es trotz einer guten Leistung nicht vergönnt, auch am zweiten Spieltag der Champions League einen Sieg einzufahren. Mit 0:1 verlor das Team von Vincent Kompany gegen Aston Villa.
Besonders ärgerlich ist dabei, dass der FCB über die meisten Phasen der Partie stabil verteidigt hat. Insgesamt ließ der deutsche Rekordmeister nur wenig zu. Und doch gab es Momente im Spiel, in denen Aston Villa die noch vorhandenen Schwächen im neuen System aufzeigen konnte.
In unserer Taktikanalyse sezieren wir die Partie und gehen näher darauf ein, warum es Aston Villa nach einem schwierigen Beginn gelang, Bayern unter Druck zu setzen – und wie die Bayern die Kontrolle wieder an sich reißen konnten.
Beim Blick auf den xG Plot von Between The Posts wird deutlich, dass die Bayern sich mindestens ein Unentschieden verdient gehabt hätten.
Hier werden die unterschiedlichen Phasen gut herausgehoben. Die Bayern kontrollierten die ersten rund zehn Minuten, schafften es aber trotz einiger vielversprechender Situationen nicht, sich nennenswerte Chancen herauszuspielen.
Bis zur Halbzeitpause entwickelte sich dann eine offenere Partie, wobei Villa in der Phase zwischen der 15. und 25. Minute zwei ordentliche Chancen durch Ollie Watkins und Amadou Onana hatte. Hinzu kam ein Tor, das wegen einer Abseitsposition zurückgenommen wurde. Bayern bekam allerdings die Kontrolle zurück und hatte selbst durch Serge Gnabry eine Chance in der 29. Minute, die mit einem sehr geringen xG-Wert bewertet wird, der nur die halbe Wahrheit erzählt. Ein Querpass auf Harry Kane wäre das sichere Tor gewesen.
In der zweiten Halbzeit spielten fast nur noch die Bayern. Eine richtige Großchance gab es nicht, aber viele gute Szenen, die zu mehr hätten führen können, vielleicht müssen. Nach dem 0:1 drückten die Bayern nochmal richtig und Gnabry, Upamecano sowie Kane vergaben drei gute Chancen.
Die Siegwahrscheinlichkeit von rund 59 Prozent wirkt angemessen, wenngleich diese Statistik sehr davon beeinflusst wird, dass die Bayern nach dem 0:1 in die Offensive gehen müssen. Dennoch waren die Münchner insgesamt das leicht gefährlichere und bessere Team.
Von Beginn an drückten die Bayern ihren Gegner hinten rein. Dass das so gut gelang, hatte zwei Hauptgründe: Das Gegenpressing funktionierte gut und im Spielaufbau lief der Ball gut. Bereits nach wenigen Minuten zeichneten sich Muster ab, die es über die gesamte Partie hinweg mal mehr und mal weniger zu sehen gab.
So ließ sich Joshua Kimmich konsequent auf die halbrechte Seite fallen, um sich möglichem Gegnerdruck zu entziehen und gleichzeitig Raum für Aleksandar Pavlović zu schaffen. Der 29-Jährige gab damit den seitenverkehrten Toni Kroos – nur, dass er weiträumiger agierte. Kimmich forderte rechts die Bälle und verteilte sie anschließend klug. Mit 128 Ballkontakten hatte er die mit großem Abstand meisten.
Außerdem rückten die Außenverteidiger häufig ein. Die Flügel waren im Aufbau in den überwiegenden Fällen einfach besetzt. Entweder durch die Flügelspieler oder eben einen Außenverteidiger. Das führte zu einem engmaschigen Positionsspiel im Zentrum, das den Bayern auf mehreren Wegen half. Einerseits wurden so Anspielstationen geschaffen, die gegen das aggressive Pressing von Aston Villa notwendig waren, um sich nicht zu lange am Ball aufzuhalten.
Andererseits funktionierte so das Gegenpressing in vielen Phasen des Spiels sehr gut. Wenn die Bayern den Ball verloren, hatten sie sofort Druck auf dem Gegner.
Aus dem strukturierten Ballbesitz heraus versuchten die Bayern zunächst, ihre beiden Flügelspieler hinter die gegnerische Kette zu bringen. Auch dafür gab es mehrere Ansätze. So ließ sich Harry Kane häufiger ins Mittelfeld fallen, um Raum für Kingsley Coman, Serge Gnabry oder Michael Olise zu öffnen.
Ein weiteres Mittel war das Anlocken von Aston Villa im tiefen Aufbau. Die Engländer pressten zwar fast nie extrem hoch, ließen sich einige Male dennoch vertikal auseinanderziehen. Dann entstand Raum zwischen der Abwehr- und der Mittelfeldkette, den man mit schnellen Doppelpässen zu bespielen versuchte. So auch in der 8. Minute:
Voraus ging der Szene ein eigener Abstoß. Bayern ließ Aston Villa pressen, verlagerte dann durch Manuel Neuer auf Konrad Laimer. Der spielte zu Gnabry, der wiederum eine gute Idee hatte: Olise im Zentrum anspielen und direkt gegenläufig zum herausstürmenden Außenverteidiger in die Tiefe gehen. Das wäre ein Durchbruch gewesen, wenn Olise den Doppelpass gespielt hätte.
Der aber wollte auf den ebenfalls durchstartenden Laimer ablegen und der Ball ging verloren. Kleine Fehlentscheidungen, die dazu geführt haben, dass die Bayern so langsam ihren Faden verloren. Immer wieder kombinierten sie sich gut ins zweite oder gar letzte Drittel, schafften dann aber trotz Angeboten den letzten Schritt zum Abschluss nicht. So fehlte es dem Spiel letztlich an Tiefe.
Ein weiteres Offensivproblem der Bayern zeigt sich beim Blick auf die Passmap.
Harry Kane hatte insgesamt trotz fast 70 Prozent Ballbesitz nur 28 Ballkontakte. Auffällig zudem: Es gibt keine Kontaktlinien zwischen ihm und den beiden Flügelspielern. Coman und Gnabry (hier so zentral, weil er in der zweiten Halbzeit auf links wechselte) gatten den ball häufig in vielversprechenden Situationen, machten daraus aber letztendlich zu wenig.
Bei Gnabry haperte es nicht an den Bewegungen. Der Flügelstürmer beschäftigte die Abwehr von Villa hervorragend, gab dem Spiel Tiefe und hatte mehrere gute Szenen. Seine Entscheidungsfindung war in diesem Spiel aber schwach. Und das nicht nur beim verpassten Querpass auf Kane, der das 1:0 gewesen wäre. Coman hingegen blieb gänzlich blass, konnte mit Verlagerungen auf ihn trotz Raum nichts anfangen.
Selbst Olise fand kaum Wege, Kane adäquat einzubinden und so hing der Engländer in der Luft. Ein Blick auf die Plots für die Halbräume und die Zone 14 – also den Zehnerraum bestätigt das Problem.
Die Bayern spielten insgesamt 49 Pässe aus der Zone 14 heraus – 41 kamen an, aber nur vier davon in den gegnerischen Strafraum. Viele Pässe waren Rück- oder Querpässe. Gerade von Olise kam hier zu wenig Angebot durch Tiefenläufe oder Steckpässe, aber auch Coman machte dahingehend zu wenig.
In den Halbräumen ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Bayern kamen gut in die gefährlichen Zonen, von dort aber zu selten in den Strafraum. Das war gegen Leverkusen bereits ähnlich. Ein Problem kann individueller Natur sein. Coman hielt den Ball oft zu lange, Gnabry erwischte auf vielen Ebenen einen unglücklichen Abend.
Dabei bekamen beide genug Chancen im Eins-gegen-eins. Gerade Verlagerungen von Kimmich oder Pavlović waren ein probates Mittel, um den kompakten Defensivblock des Gegners zu bewegen. Aber auch die diagonal einlaufenden Außenverteidiger zogen die Räume immer wieder frei. Dafür, dass Gnabry und Coman so im Fokus der Taktik standen, kam schlicht zu wenig Output von ihnen.
Eine andere Betrachtungsweise wäre, dass Kane eine Art Müller fehlt. Ein Raumdeuter, der um ihn herum unermüdlich die Räume öffnet und die gegnerische Abwehr damit auseinanderzieht. Weder Olise noch Jamal Musiala sind diese Art Spieler. Beide lassen sich häufig fallen und wollen dann mit Dribblings oder Doppelpässen nach vorn kommen. Kane hat aktuell niemanden, mit dem er gegenläufige Bewegungen oder kreuzende Laufwege praktizieren kann.
Allerdings ist das Kritik auf hohem Niveau. Denn neben den je nach Modell 1,1 bis 1,5 Expected Goals, die sich die Bayern herausgespielt haben, gab es einige Szenen, in denen man Über- oder Gleichzahl und die Chance auf einen hochwertigen Abschluss hatte und nicht die gute Organisation des Gegners, sondern die eigene Fahrlässigkeit dazu führten, dass es keinen Abschluss gab.
Solange sich die Mannschaft aber überhaupt in solche Situationen bringt, kann das Trainerteam hoffnungsvoll sein, dass sich die entscheidenden Details mit mehr Rhythmus bessern. Schließlich ist Kompany erst am Anfang seiner Zeit beim FC Bayern und hat dafür bereits beachtliche Erfolge erzielt.
Dazu zählt auch die Fähigkeit, schwierige Spielphasen nicht nur zu überstehen, sondern auch die Kontrolle sukzessive zurückzuerobern. Gegen Aston Villa ließ man sich zwar kurzzeitig dazu verleiten, zu vertikal und zu hektisch zu agieren, doch vor allem Kimmich verstand es gut, die Partie wieder zu beruhigen. Gegen Ende der ersten Halbzeit lief der Ball schon wieder deutlich ruhiger und besser.
Denn einerseits ist der Fußball unter Kompany dadurch geprägt, dass man sehr offensiv und intensiv agiert. Andererseits ist dem Belgier aber auch wichtig, dass die Partie kontrolliert wird. Auch wenn die Ergebnisse den Fortschritt derzeit nicht belohnen, so werden die Bayern immer besser darin, ihre Tempoangriffe richtig zu timen und auf den Moment zu warten, in dem sich die Räume vorne ergeben.
Dass die Bayern gegen Aston Villa indes nur 0,4 Expected Goals zugelassen haben, ist unter anderem auf diese Geduld zurückzuführen. Teil des Rezepts ist, dass die Münchner im Aufbau sehr kontrolliert nachrücken und das Mittelfeld dabei mit guten Staffelungen besetzen.
Wenn Kimmich rechts herausgerückt ist, wurde Pavlović zentral meist von einem Außenverteidiger oder einem abkippenden Offensivspieler unterstützt, sodass eigentlich immer eine 3-2-Staffelung gegeben war – oder, wenn Kimmich etwas höher stand, eine 2-3-Staffelung. Das variierte auch je nachdem, wie hoch Aston Villa presste.
Davor gab es viel Bewegung, um die Ketten des Gegners vertikal zu stretchen. Deshalb gelang es den Bayern auch so oft, in die Zwischenräume zu kommen. Verloren sie den Ball, hatten sie meist nicht nur viele Spieler in Ballnähe, sondern auch defensiv eine numerisch gute Absicherung. Erst wenn hoher Ballbesitz möglich war, schoben viele Bayern-Spieler nach vorn.
Das führte dazu, dass man selten sehr schnelle Angriffe spielen konnte, gleichzeitig konnte die Partie dadurch besser gesteuert werden. Ein Balanceakt, den viele Trainer in größeren Spielen eingehen. Dennoch blieb das Spiel der Bayern über weite Strecken druckvoll.
Neben der guten Absicherung in Ballbesitz spielte natürlich auch wieder das extrem hohe und risikoreiche Mann-gegen-Mann-Pressing eine Rolle. Auch gegen Aston Villa sah das Anlaufverhalten der Bayern häufig so aus:
Allerdings: Die Engländer ließen sich davon nicht großartig beeindrucken. Für die Bayern gab es über das gesamte Spiel hinweg kaum Ballgewinne, die direkt zu vielversprechenden Chancen hätten führen können. Sinn ergab das hohe Anlaufen dennoch.
Denn Aston Villa konnte dadurch nur sehr selten kontrolliert aufbauen, was den Bayern zumindest schnelle Rückeroberungen nach langen Bällen des Heimteams ermöglichte. Von den 43 langen Bällen kamen 15 an. Nur wenige davon führten wiederum zu guten Chancen.
Und trotzdem stellte Aston Villa unter Beweis, dass sie aktuell ein absolutes Topteam sind. Anders als Leverkusen am vergangenen Wochenende hatten sie mehr zu bieten als den langen Schlag auf die schnellen Angreifer.
So zeigten sie den Mut, aber auch die Qualität, es hin und wieder mit Kurzpassspiel hinter die vorderste Pressinglinie der Bayern zu schaffen. Dabei spielte unter anderem Torhüter Emiliano Martínez eine Rolle. Immer wieder ließ er das Spiel zum Stillstand kommen, indem er im Aufbau den Ball solange nicht abspielte, bis ein Münchner anlief. Das führte dazu, dass Aston Villa, einen freien Feldspieler bekam.
Dadurch ließ man die Bayern hin und wieder ins Leere laufen. Gleichzeitig arbeitete offensiv unter anderem mit zwei taktischen Mitteln: Einerseits sorgten mindestens vier Spieler dafür, dass die Bayern in der Vertikalen so weit wie möglich auseinander positioniert sind – und andererseits ließen sich dann einige Angreifer fallen, während andere in die Tiefe starteten.
Mit diesen gegenläufigen Bewegungen hatte man mehrere Situationen, in denen ein Stürmer ins Eins-gegen-eins mit einem Innenverteidiger geschickt werden konnte. Meist war es das Duell zwischen Upamecano und Watkins. Oder wie beim Gegentor zwischen Upamecano und Durán. Die Passmap unterstreicht das taktische Vorgehen der Emery-Elf: Hinten mit viel Geduld und Querpässen, dann sehr vertikal und direkt nach vorn, sobald sich die Lücke ergibt.
Das Pech von Villa war es nur, dass die beiden Innenverteidiger der Bayern hellwach waren und ihre sehr schwere Aufgabe mit Bravour lösten. Selbst beim Gegentreffer ist es schwer vorherzusagen, ob Upamecano die Situation nicht noch hätte bereinigen können, wenn Neuer defensiver agiert hätte.
Wer so presst und spielt wie die Bayern wird aber immer zwei, drei Momente pro Spiel in Kauf nehmen müssen, wo es sehr eng wird. Gegen Aston Villa gab es ein paar mehr enge Situationen, weil die Engländer enorme Qualität im Aufbauspiel bewiesen haben. Dennoch haben es die Bayern im Rahmen ihrer Taktik gut gelöst.
Gegen Villa werden sich noch viele Mannschaften die Zähne ausbeißen – sowohl in der Premier League als auch international. Ein derart gut organisiertes und über Jahre zusammengewachsenes Team verdient den Respekt, der ausbleibt, wenn man den Bayern eine schwache Leistung unterstellen würde.
Denn auch wenn die Münchner gerade in Bezug auf Präzision und offensive Durchschlagskraft nicht ihren besten Tag erwischten, zeigten sie Reaktionsfähigkeit – und waren dem Sieg am Ende eigentlich etwas näher als Aston Villa. Es war ein Topspiel zweier herausragender Mannschaften. Ein Unentschieden wäre wohl das leistungsgerechte Ergebnis gewesen. Doch der Neuer-Fehler entschied die Partie.
Für die Bayern gibt es dennoch die positive Erkenntnis, dass der Spielstil auf höchstem Niveau konkurrenzfähig ist. Für Kompany und sein Trainerteam wird es darum gehen, zu analysieren, wie man Ungenauigkeiten abstellt und vor allem offensiv noch häufiger in die Tiefe kommt. Ein Schlüssel dafür dürfte die Rolle von Kane sein.
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