REAL TOTAL
·6 November 2024
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·6 November 2024
Die Königlichen erlebten erneut einen Abend zum Vergessen – Foto: Angel Martinez/Getty Images
Wer Real Madrid kennt und sich einschlägig mit den Blancos und ihrer Geschichte beschäftigt, der weiß, dass nach herben Rückschlägen in der Regel entsprechende Antworten aus dem königlichen Lager folgen. So war doch durchaus damit zu rechnen, dass nach der bitteren 0:4-Klatsche im Clásico vor neun Tagen nun gegen die AC Milan eine Reaktion folgen würde. Doch diese blieb – zur Überraschung vieler – komplett aus. Viel schlimmer noch: Am Ende des Tages stand vermutlich „nur“ ein 1:3 für die „Rossoneri“ auf der Anzeigetafel, weil Rafael Leão und Co. phasenweise doch durchaus verschwenderisch mit ihren Chancen umgingen und in der Spitze nicht gänzlich über die Qualität verfügen, wie es offensichtlich die Katalanen tun. Daran änderten auch Antonio Rüdigers wegen Abseits aberkanntes Tor sowie weitere Hochkaräter durch Brahim Díaz und Éder Militão in der Schlussphase nichts. Unter dem Strich stand letztlich auch in der Königsklasse eine hochverdiente Niederlage, die abermals eklatante (defensive) Mängel sowie erhebliche taktische Unzulänglichkeiten zu Tage förderte. Probleme, die Carlo Ancelotti und sein Trainerteam schnellstmöglich in den Griff bekommen sollten, wenn man nicht schon zum Jahresende hin den einen oder anderen Titel verspielt haben möchte.
Reals vermutlich größtes Problem ist dabei ein mannschaftliches: Das Pressing, sofern es denn versucht wird, wirkt zu großen Teilen unorganisiert und unkoordiniert. Meistens aus einer 4-4-2-Grundordnung heraus stürmen Kylian Mbappé und Vinícius Júnior oft elanvoll vorne an, werden dabei aber oftmals teils mühelos durch simples Dreiecksspiel ausgehebelt, weil die Königlichen in zweiter Linie keinen Zugriff auf den Gegner entwickeln. Und einmal überspielt, hält sich das Anschlussverhalten des Sturmduos nach hinten doch arg in Grenzen. Die Konsequenz: Der Gegner kann oftmals mit offenem Fuß auf die gegnerische Kette zulaufen und ohne Druck Bälle hinter die Abwehrreihe spielen oder die Flügelspieler in Eins-gegen-Eins-Situationen schicken. Situationen, die für jede Mannschaft, egal welcher Qualität, unheimlich schwierig zu verteidigen sind.
Wenn dem Zentrum dann auch noch wie gegen Milan ein laufstarker Spieler wie Federico Valverde (kam in der ersten Halbzeit vermehrt über rechts) oder Eduardo Camavinga abgeht, ist das Stopfen und Schließen der entstehenden Löcher gegen den Ball noch schwieriger zu koordinieren. Aurelién Tchouaméni und Luka Modrić waren in Kombination in dieser Rolle vor allem gegen den Ball merklich überfordert, weshalb Carlo Ancelotti zur Halbzeit auch reagierte und den Franzosen folgerichtig durch Landsmann Camavinga ersetzte. Die strukturellen Probleme im Pressing löste das zwar nur bedingt, immerhin entwickelte man so zumindest immerhin ein wenig mehr Zugriff in den direkten Duellen, auch wenn die Italiener auch so genügend weitere Hochkaräter kreieren konnten.
Dass man aktuell mit der fehlenden mannschaftlichen Geschlossenheit zu kämpfen habe und taktische Mängel aufweise, daraus machte Ancelotti nach dem Spiel auch keinen großen Hehl: „Wir müssen uns Sorgen machen. Die Mannschaft gibt keine gutes Bild ab. Die Mannschaft ist nicht kompakt. Wir müssen kompakter und organisierter sein, wir haben viele Gegentore kassiert. Die Mannschaft ist auf dem Feld nicht gut organisiert und daran müssen wir arbeiten.“
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Eine weitere Auffälligkeit: Wie schon Barcelona visierte auch Milan immer wieder Reals rechte Abwehrseite an, um Lucas Vázquez dort in Eins-gegen-Eins-Situationen zu verwickeln oder in dessen Rücken zu kommen. Und wie bereits im Clásico offenbarte der Carvajal-Vertreter große Defizite in den direkten Duellen und im Stellungsspiel, was Leão einen spaßigen Abend bescherte. Ancelotti versuchte dem zwar durch Valverdes Positionierung auf der rechten Seite entgegenzuwirken, doch alles konnte der Uruguayer, der zudem mit Rückenproblemen zu kämpfen hatte und deshalb zur Pause das Feld verließ, erwartungsgemäß auch nicht verhindern.
Vor allem gegen schnelle Gegenspieler gibt Vázquez dabei oftmals kein gutes Bild ab, kann Carvajal weder körperlich noch spielerisch ansatzweise ersetzen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Abwehrkette bei Kontern oder Bällen in die Tiefe immer wieder auf sich gestellt ist und zu wenig Unterstützung aus der Offensive erfährt. Ein Umstand, den der Rechtsverteidiger auch klar kritisierte: „Ich glaube, wir lassen gerade zu viele Räume zu und wenn wir so verteidigen, dann fällt es uns allen schwer, im richtigen Moment da zu sein, um zu stören und das merkt man. Wir sind einfach immer noch nicht kompakt, es ist zu viel Platz zwischen den Linien, wir pressen nicht früh genug, wir müssen viel zurücklaufen gegen gute und schnelle Spieler und das ist kompliziert. Wir müssen diese Fehler korrigieren.“
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Und dann wäre da noch die neu formierte Innenverteidigung der Königlichen, die bislang auch noch kein allzu rundes Bild abgibt. Antonio Rüdiger und der seit dieser Saison wieder vollends hergestellte Éder Militão fremdeln noch ein wenig, offenbaren immer wieder Abstimmungsprobleme und gehen phasenweise zu hohe Risiken im Nach-Vorne-Verteidigen ein, was phasenweise zu enormen Räumen zwischen Mittellinie und dem eigenen Sechzehnmeterraum führt. So ist es schon auffällig, dass sich beide Defensivakteure beim Herausstürzen aus der Kette immer wieder verschätzen und dem Gegner so tiefe Bälle in die Schnittstellen ermöglichen, wie beispielsweise bei Barcelonas 1:0-Führungstreffer durch Robert Lewandowski oder in der Entstehung zu Milans 1:3, als Militão eigentlich ohne Not aus der defensiven Ordnung ausbrach und so für den entsprechenden Raum für Leãos Durchbruch sorgte.
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Und eine weitere eklatante Schwäche der Blancos in den letzten Wochen: die Boxverteidigung. Die Gegner kommen immer wieder zu klaren Abschlusssituationen innerhalb des Strafraums, weil weder Zuordnung noch Mannorientierung stimmen. Auf höchstem Niveau nahezu fatal. Bestes Beispiel hierfür war sicherlich Lewandowskis Kopfball zum 2:0 im Clásico, als der Pole völlig unbedrängt zwischen Reals Innenverteidiger-Duo einköpfen konnte. Und auch Milan schaffte es immer wieder, den freien Mann in der Box zu finden und einige Hochkaräter zu kreieren, wobei Andriy Lunin am Ende vermutlich Schlimmeres verhinderte. Wie bereits erwähnt, war es letzten Endes vermutlich vorrangig dem fehlenden Killerinstinkt der Mailänder zuzuschreiben, dass die Merengues nicht auch noch in der Champions League ein weiteres Debakel erlebten.
Dass vor Ancelotti enorm viel Arbeit liegt, wird auch der Italiener aktuell nicht müde zu betonen. Die Suche nach Balance und defensiver Stabilität bereiten dem 65-Jährigen sichtlich große Kopfschmerzen und fortan „lange Nächte“. Dass er selbst dabei noch auf der Suche nach der passenden personellen Lösung ist, ist ebenfalls schwer zu übersehen. Die ständigen Personalrochaden im Mittelfeld und wechselnde Position von Jude Bellingham zeigen dies. Auffällig gegen Milan: Neben dem besseren Zugriff gegen den Ball durch Camavingas Dynamik sorgte auch Dani Ceballos’ Vertikalität und Ballsicherheit für mehr Strutkur im Spiel der Blancos. Die defensiven Unzulänglichkeiten konnten dadurch aber nur bedingt kaschiert werden. Es wird interessant zu sehen sein, wie Ancelotti jene Balance-Probleme und das damit einhergehende Personalpuzzle in den kommenden Wochen angehen wird.
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