Miasanrot
·4. Februar 2025
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·4. Februar 2025
Der FC Bayern München hat Arianna Caruso von Juventus Turin verpflichtet. Die Italienerin kommt zunächst per Leihe, wird im Sommer aber fest verpflichtet. Stärken, Schwächen und Einordnung zum Deal.
Nach der Verletzung von Georgia Stanway hat der FC Bayern München reagiert und Arianna Caruso von Juventus Turin verpflichtet. Die 25-Jährige soll das von Ausfällen geplagte Mittelfeld verstärken.
Zunächst kommt die Italienerin per Leihe nach München, wie Juventus aber offiziell bestätigte, gibt es eine Kaufpflicht im kommenden Sommer. Die Bianconere verabschiedeten sich in einem emotionalen Text auf ihrer Website von einer ihrer größten Ikonen.
Was zeichnet Caruso aus? Wo kann sie noch besser werden? Wie passt sie in den Kader des FC Bayern? Wie in die Transferstrategie? Ist sie mehr als nur ein Panikkauf nach einer weiteren Verletzung? Ihr habt Fragen, wir liefern Antworten.
„Es war der 27. August 2017“, beginnt der Text zum Abschied von Caruso auf der Website des italienischen Spitzenclubs: „Es war ein heißer – ein sehr heißer – Sommertag in einer Stadt namens Pianezza in der Nähe von Turin. Aber das interessierte nur wenige, denn an diesem Tag wurde etwas Neues geboren, ein neues Abenteuer begann und das erste Kapitel der Geschichte von Juventus Women wurde geschrieben.“
Mit dabei: Caruso. Eine Spielerin, die vom ersten Tag an nicht nur da, sondern entscheidend für Juve war. Sie als Stütze zu beschreiben, versucht es die Alte Dame selbst zu erklären, würde zu kurz greifen. Letztes Jahr wurde die Mittelfeldspielerin zur ersten Juve-Spielerin mit 200 Einsätzen.
Am Ende ihres Abschnitts in Turin steht sie bei 201 Partien in Serie A, italienischem Pokal und italienischem Supercup. Hinzu kommen 36 Champions-League-Auftritte. 60 Tore erzielte sie dabei, hinzu kamen zahlreiche Assists – eine Formulierung, die notwendig ist, weil Datenerfassung im Fußball der Frauen nach wie vor ein Traum ist. Und zwar ein Albtraum.
Dennoch zeigt ihre hohe Torbeteiligungsquote direkt eine ihrer größten Stärken: Caruso ist eine sehr clevere Spielerin mit viel Offensivdrang. Im zentralen Mittelfeld kann sie sowohl auf der Acht als auch auf der Zehn eingesetzt werden. Die Sechserposition liegt ihr etwas weniger, ist grundsätzlich aber ebenfalls eine Option.
Caruso ist eine der besten, vielleicht die beste Fußballerin Italiens, wenn es um technische und strategische Fähigkeiten geht. Bei der italienischen Nationalelf ist sie ebenfalls eine wichtige Säule, die dazu beigetragen hat, dass Italien etwas näher an die Spitzengruppe Europas gerutscht ist.
Sie hat eine sehr gute Ballverarbeitung in nahezu allen Spielsituationen und mit ihrer ständigen Vororientierung den Überblick über das gesamte Spielfeld. Die Nationalspielerin kann ein Spiel und die Entwicklungen lesen, weiß genau, wann es Vertikalität sowie Tempo und wann es mehr Ruhe braucht.
Mit 25 befindet sie sich in einem guten Alter, weil sie einerseits schon Erfahrungen auf allerhöchstem Niveau sammeln konnte und sich andererseits mit dem nun fast schon überfälligen Schritt zu einem der ambitioniertesten Clubs in Europa noch weiterentwickeln kann. Drucksituationen kann Caruso sowohl mit klugen Pässen als auch mit Dribblings und wendigen Bewegungen auflösen. Ihr aktives und kluges Freilaufverhalten führt dazu, dass sie fast immer anspielbar ist.
Die Bayern konnten ihre Qualitäten bereits in der Gruppenphase der diesjährigen Champions-League-Saison aus der Nähe begutachten. Gut möglich, dass das direkte Aufeinandertreffen auch bei Caruso Eindruck hinterließ. Auswärts gewann man mit 2:0, daheim sogar mit 4:0. Juve lief viel hinterher und musste generell in der starken Gruppe anerkennen, dass es für ganz oben nicht reicht.
Carusos Parallelen zu Stanway im Offensivspiel sind auffällig. Beide sind sehr torgefährlich, beide haben großen Offensivdrang und sind gute, eher sehr gute Taktgeberinnen. Insofern ist Caruso nicht nur in der chronologischen Abfolge der Ereignisse ein Ersatz für die Engländerin, sondern auch mit Blick auf ihre Fähigkeiten und Stärken.
Caruso ist zudem weit über den Status eines Talents hinaus. Sie hat in Italien sechs Meisterschaften gewonnen, dreimal den Pokal geholt, ist gemeinsam mit Juve auch in Europa gewachsen und war zuletzt Kapitänin des Teams. Sie ist eine Führungsspielerin, die vom ersten Tag an die Qualität hat, den FC Bayern besser zu machen – und zwar unabhängig davon, wer ausfällt.
Im Viererkettensystem, das die Münchnerinnen unter Straus häufig spielen, ist die offensivere Rolle auf der Doppelsechs wohl die Idealposition für sie. Das bedeutet aber nicht, dass sie von Beginn an weit nach vorn schieben wird. Wahrscheinlicher ist, dass sie in allen Spielphasen entscheidend mitwirken soll. Im Aufbau brauchen die Bayern dringend Spielerinnen, die sich aktiv anbieten und gute Lösungen für den Ballvortrag haben.
Kommt man dann ins zweite oder dritte Drittel, kann auch Caruso nachschieben und dort unterstützen. Der ballbesitzorientierte Fußball unter Straus liegt ihrem Spielerinnenprofil sehr. Und andersherum kann sie mit ihrer Dynamik und Vertikalität dafür sorgen, dass der Ballvortrag der Bayern seltener einschläft und druckvoll bleibt.
Man könnte sie damit als das perfekte Pflaster für die Wunden bezeichnen, die die Ausfälle von Lena Oberdorf (Kreuzbandriss), Sarah Zadrazil (Muskelfaserriss) und Stanway (Außenbandriss) aufgerissen haben. Zu Recht werden sich einige Bayern-Fans aber die Frage stellen, was passiert, wenn der Kader wieder komplett ist. Vier Spielerinnen mit großen Ansprüchen für nur zwei Positionen – und mit Momoko Tanikawa kommt eine hochtalentierte Spielerin sowie mit Julia Zigiotti Olme noch eine Sechserin dazu.
Im Sommer kehrt zudem Samantha Kerr zurück und Sydney Lohmann ist theoretisch noch eine Spielerin, die auf der Achterposition spielen kann. Macht schon Sieben für zwei Positionen. Zu viel? Nur auf den ersten und groben Blick. Schaut man im Detail auf den Kader ohne Caruso, fällt auf, dass die Breite im Kader eigentlich nur eine Scheinbreite ist.
So hat Zigiotti Olme ihre Aufgaben zwar ordentlich gelöst, aber eben nicht mehr. Samantha Kerr ist noch kritischer zu bewerten, hat seit ihrer Ankunft keinen Zugang zum Team gefunden. Ihr wenigen Auftritte waren nicht gut genug. Tanikawa ist gewiss ein Riesentalent mit großem Potenzial, kann aber verschiedene Positionen im Team bekleiden – auch in der Offensive. Es wird bei ihr auch darum gehen, sie Schritt für Schritt heranzuführen.
Lohmann wiederum stagniert seit Jahren. Ihre Entwicklung ist vor dem Hintergrund, welch großes Talent sie hatte und hat, etwas ernüchternd. Auch sie kann durchaus offensivere Positionen spielen, hat in den letzten Jahren aber nicht genug angeboten, um in eine Kategorie mit den Top-Spielerinnen des Kaders zu gehören.
Und Zadrazil wird in wenigen Tagen bereits 32. Schon in den letzten Monaten hat sich angedeutet, dass es klug sein könnte, sich mit einem Szenario zu befassen, in dem sie nicht mehr das Pensum der letzten Jahre abspulen kann. Insofern ist es auch ganz unabhängig von den Verletzungen sinnvoll, eine Spielerin wie Caruso zu holen, um die Spitze des Kaders weiter zu verstärken. Gerade im für das Straus-System so wichtigen Mittelfeldzentrum.
Mit dem Neuzugang hat Straus – wenn alle fit sind – noch mehr Optionen. Ein Dreiermittelfeld mit Caruso, Oberdorf und Stanway wäre denkbar und würde rein namentlich mit zum Besten zählen, was der europäische Fußball zu bieten hat. Eine Perspektive, die Lust auf eine baldige Rückkehr der Verletzten macht.
Der Caruso-Transfer passt aber auch auf einer weiteren Ebene richtig gut zu den Bayern: In den vergangenen Jahren hat man immer mal wieder nach Spielerinnen gesucht, die noch nicht auf absolutem Weltklasse-Niveau spielen, aber an der Grenze kratzen. Stanway selbst war das beste Beispiel dafür. Die Engländerin war, als der Transfer eingetütet wurde, eine aufstrebende Spielerin in der Women’s Super League. Nah an der Weltklasse. Den Schritt ging sie dann bei der EM und folglich beim FC Bayern.
Caruso spielt seit Jahren konstant auf einem sehr hohen Niveau, gilt schon jetzt zu den besten Mittelfeldspielerinnen – aber auch bei ihr ist es so, dass sie das beim FCB jetzt nochmal auf einem anderen Niveau nachweisen kann. Die Frauenabteilung der Münchnerinnen bekommt ein deutlich geringeres Budget für Transfers als es bei englischen oder auch dem einen oder anderen spanischen Club der Fall ist.
Umso wichtiger ist es, dieses Budget klug zu investieren. Caruso ist auf dem Papier ein Musterbeispiel dafür, wie das gehen kann. Und gewissermaßen auch ein weiteres kleines Statement im Entwicklungsprozess der Bayern.
Entwickeln muss sich auch Caruso bei aller vorhandener Qualität, um es in München dauerhaft zu packen. Dabei aber von Schwächen zu sprechen, wäre zu viel. Selbst wenn man berechtigterweise sagen kann, dass Carusos Stärken in Ballbesitz und im Offensivspiel mehr herausragen als ihre Fähigkeiten gegen den Ball, ist sie immer noch eine grundsolide bis gute Verteidigerin.
Anders als beispielsweise Stanway oder Oberdorf agiert sie dabei aber weniger körperlich und robust, sondern löst die Situationen mit Stellungsspiel und Antizipation. Eine andere Herangehensweise, die aber ebenfalls eine gute Ergänzung zum Kader darstellt. Und doch kann sie sich in mancher Situation vielleicht noch etwas von ihren Teamkolleginnen abschauen, um im Zweikampfverhalten noch etwas konsequenter zu werden. Allerdings ist das, wenn überhaupt, Kritik auf recht hohem Niveau.
Natürlich ist die Verpflichtung von Caruso letztlich eine Reaktion darauf, dass viele Spielerinnen ausfallen. Aber so ist Kaderplanung in sehr vielen Fällen. Der Wunsch danach, alles ins kleinste Detail zu planen, ist Utopie. Gute Kaderplanung zeichnet sich dadurch aus, eine gute Mischung zu finden aus richtiger und notwendiger Reaktion sowie der Ruhe, nicht in Panik zu verfallen.
In diesem Fall war es zwingend notwendig zu reagieren. Zwei Weltklasse-Spielerinnen, die das Spiel des FC Bayern im Fall von Stanway schon geprägt haben oder im Fall von Oberdorf prägen können, fallen in der Rückrunde lange aus. Selbst wenn Zadrazil aktuell fit wäre, wäre der Kader hier nicht gut aufgestellt.
Das liegt auch daran, dass die Bayern hier in der zweiten Reihe zuletzt keine passenden Verpflichtungen tätigen konnten. Sich darauf zu verlassen, dass Tanikawa schon jetzt den großen Schritt hin zum absoluten Dreh- und Angelpunkt machen kann, wäre unverantwortlich – auch der Spielerin gegenüber.
Ein Panikkauf ist Caruso aber bei weitem nicht. Eher ein Beleg dafür, dass man kühlen Kopf bewahrt hat und eine Top-Lösung gefunden hat. Die Italienerin kommt mit einem großen Versprechen. Löst sie das ein, wird sie einer der besten Transfers der jüngeren Vergangenheit.